Heide-Ulrike Wendt wünscht sich diesmal nur eins: Lasst mich einfach hier sitzen!
Die Frage, vor der ich mich nach dem Sommer am allerallermeisten fürchte, ist die: „Und? Wie war euer Urlaub? Wolltet ihr in diesem Jahr nicht nach Goa … Sikkim … Dubai … Nord Dakota … Uoleva … Shangri-La … Eschnapur?
Die Antwort ist: Nein. Natürlich weiß ich, dass es dort überall wunderwunderschön ist – da flattern Schmetterlinge, so groß wie Tortenplatten, von Blüte zu Blüte, glasklare Wasserfälle tosen über Felsen und Schluchten ins Tal voller blauer Glockenblumen, schneeweiße Strände, so breit wie die A3 bei Köln und menschenleer, räkeln sich unter Palmen. Trotzdem – ich will da im Moment nicht hin. Ich möchte lieber im Garten bleiben und einfach dort sitzen.
Ferienreise nach Mühlhausen im Vogtland
Wirklich, ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, es ist einfach so passiert. Früher, sagt mein Mann, hätte ich ihn auf der Rücktour vom Luberon nach Berlin im krachend heißen Auto und mit drei quengelnden Jungs auf dem Rücksitz allen Ernstes gefragt, ob wir noch mal kurz in Straßburg halten könnten, obwohl das im Elsass liegt, oder noch einen Abstecher nach Liechtenstein vorgeschlagen …
Das stimmt, so war es, ich wollte sehr lange einfach überall hin. Noch 1988 bekam ich einen Tobsuchtsanfall, als mir eine Genossin von der Wochenpostauf meine Frage, ob sie nicht auch manchmal Lust hätte, ein kleines Stückchen mehr von der Welt zu sehen als derzeit möglich, antwortete: „Du etwa? Oder hast du schon all die schönen Ecken in der DDR besucht: das Elbsandsteingebirge, Hiddensee, Dresden, das Schiffshebewerk Niederfinow?“
Keine Ahnung, ob die Genossin inzwischen mit all den schönen Ecken in der ehemaligen DDR durch ist, wir jedenfalls, so absurd es auch klingen mag, machten nach dem Fall der Mauer unsere letzte FDGB-Ferienreise nach Mühlhausen im Vogtland, wollten aber natürlich auch ganz viel in den Westen: Coburg, Bayreuth, Kulmbach oder Hof – das lag ja alles ganz dicht neben unserem FDGB-Ferienheim. Die Menschen dort beobachteten uns allerdings mit einiger Skepsis, obwohl der damalige Kanzler den Menschen in der alten Bundesrepublik versprochen hatte: „Keiner wird wegen der Vereinigung Deutschlands auf etwas verzichten müssen.“
Heinrich Heine inspirierte diese Landschaft in seinem Lied über die Loreley
Die Menschen dort aber glaubten ihm das nicht, obwohl nicht einer von uns als Alteigentümer kam. Das gab es damals noch gar nicht. Wir wollten nur gucken, mein Gott.
„Ja, mein Gott, das ist jetzt alles 25 Jahre her“, sagt mein Mann. „Lass uns in diesem Jahr doch wenigstens mal durch die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal stromern – die gehört seit 2002 zum Weltkulturerbe der UNESCO.“
Auch Wikipedia ist vom Oberen Mittelrheintal schwer begeistert: „Das Welterbe-Gebiet erstreckt sich von Bingen am Rhein bis Koblenz auf einer Länge von 67 km entlang des Durchbruchstals des Rheins … Mit seinen hochrangigen Baudenkmälern, den rebenbesetzten Hängen,seinen auf schmalen Uferleisten zusammengedrängten Siedlungen und den auf Felsvorsprüngen aufgereihten Höhenburgengilt es als Inbegriff der Rheinromantik.“
Und inspirierte Heinrich Heine, diese Landschaft in seinem Lied über die Loreley so zu beschreiben:
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.
Ersten Etappe Rüdesheim-Assmannshausen
Als wir am 19. Juli auf unserer ersten Etappe in Rüdesheim-Assmannshausen ankommen, ist es allerdings nicht kühl, sondern brüllend heiß, und außer dem Rhein selbst ist gar nix ruhig, geschweige denn romantisch. Beidseitig des Stroms gibt es je eine Bahnstrecke. Intercitys fahren über die linksrheinische Strecke mit Halten in Bingen am Rhein und Koblenz, daneben wird das Tal durch zwei Bundesstraßen erschlossen: Linksrheinisch verläuft die B9 rechtsrheinisch die B42. Und auf dem Rhein tummeln sich Dutzende Schubpramen, deren Kapitäne gern und ausgiebig auf ihre Tröten drücken, wenn sie aneinander vorbeischippern.
Trotzdem gibt es direkt am Rheinufer nur noch ein einziges freies Zimmer, das unter 100 Euro kostet. Kleiner Wermutstropfen: Die Einfachfenster sind außerstande, Hitze und Lärm von uns abzuhalten, das Bad liegt auf der anderen Seite des Flurs, und der Abstand zwischen Hauswand und Intercity beträgt nach hinten raus etwa gefühlte zehn Zentimeter.
Außer uns scheint das im Hotel niemanden zu stören, was daran liegen kann, dass in diesem Juli nur Best-Best-Ager im Abendsonnenschein des Oberen Mittelrheintals unterwegs sind – die entstöpseln sich einfach, wenn sie zu Bett gehen, und Ruhe is‘.
Details unserer Reise durch die Romantik
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle weitere Details unserer Reise durch die Romantik ersparen,aber Wanderer, kommst Du nach Limburg, nimm Dir ein wenig Zeit: Die Stadt ist bezaubernd, seine Bewohner sind freundlich. Allüberall verwinkelte Gassen und Fachwerkbauten mit prächtigen Schnitzereien aus längst vergangener Zeit. Und über all dem erstrahlt der Limburger Dom auf einem Kalkfelsen hoch über der Lahn, und auf der Homepage des Bistums Limburg steht:
„Von der Schönheit des Limburger Doms beeindruckt, schrieb der Chronist Johannes Mechtel aus Pfalzel bei Trier um 1600 folgende Worte:
‚Limpurg eine edle stad – im land die schonste kirche had.'“
Die Limburger haben ihren Bischöfen bis heute eine Menge zu verdanken …
Und ich will nach Hause!
Heide-Ulrike Wendt
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