Von Christoph Nitz
Die Kongresse des Chaos Computer Clubs werden von Jahr zu Jahr größer. 2017 konnte mit 15 000 Teilnehmern ein neuer Rekord gemeldet werden. Erstmals fand der Kongress in Leipzig statt. Internetaktivisten und Journalisten haben in der Abwehr von Überwachung und Einschränkung von Freiheiten gemeinsame Ziele.
Die kleine, bauchige Rakete namens Fairydust markierte nach Weihnachten den neuesten Landeplatz des seit 1984 durchgeführten Chaos Computer Congress. Nach sechs Jahren im plüschigen Ambiente des Hamburger Congress Center fand das jährliche Gipfeltreffen der sogenannten Hackermesse erstmals im kühlen Ambiente der Neuen Messe Leipzig statt. Mit dem Motto „Tuwat“ nahm der 34c3 – so die offizielle Abkürzung – Bezug auf die Anfänge des Trägervereins Chaos Computer Club (CCC) im Jahr 1981. Im damaligen Gebäude der alternativen Tageszeitung taz in der Berliner Wattstraße versammelten sich „Komputerfrieks“, die nicht länger unkoordiniert vor sich „hinwuseln“ wollten. 36 Jahre später konnte mit mehr als 15 000 Teilnehmern ein Rekord gefeiert werden – die Mischung aus gesellschaftlichen Themen und spektakulären Hacks wird heute von der Gesellschaft wahrgenommen; über die „Komputerfrieks“ berichtet auch die Tagesschau.
Hacker, Computernerds und Journalisten – die Digitalisierung schafft neue Nähe. Der alte Streit, ob Blogger als Journalisten gelten, ist ausgestanden. Die Digitalisierung ermöglicht einerseits neue Möglichkeiten und Arbeitsfelder wie etwa für Datenjournalisten, andererseits stellt sie traditionelle Anbieter von journalistischen Produkten vor massive Herausforderungen. Der Schwund bei gedruckten Exemplaren wird durch neue Geschäftsmodelle im Internet nicht ausgeglichen, professioneller Journalismus steht seit Jahren unter Druck, nicht nur unter finanziellem. Beim 34c3 widmete sich Datenjournalist Michael Kreil dem Metathema des Jahres 2017: Fake News, Social Bots und Filterblasen.
Er diagnostizierte, dass nicht vermeintliche Filterblasen Menschen wütend machen, sondern dass diese Menschen schon aufgebracht sind, bevor sie ihre Meinung mittels Twitter kundtun. Verbreiter von Fake News würden die Gegendarstellungen durchaus zur Kenntnis nehmen, diese sich aber nicht zu eigen machen. Der Forscher konnte einerseits eine „AfD-Twitterinsel“ orten, allerdings ging er anders als andere Beobachter der sozialen Netzwerke davon aus, dass mehr als bislang vermutet, reale Menschen und nicht Social Bots hinter den Meldungen stehen. Das Problem bestünde vor allem in den bislang genutzten Kriterien zur Identifizierung von Bots. Kreil bemängelte hier „wackelige Definitionen“ und gab zu bedenken, dass die seriöse Erforschung solcher Phänomene am Anfang stünde und sie auch neue Methoden erfordere.
Die Frage, ob die Medien die AfD zu ihrem Erfolg verholfen hätten, erörterte Alexander Beyer – Mitglied einer Forschungsgruppe der Universität Vancouver – in einem weiteren Vortrag. Seine Untersuchung von rund 8 500 Artikeln aus Focus, Bild, Welt und Spiegel kann keinen Zusammenhang zwischen dem Anstieg bei Umfragen für die Rechtsaußen-Partei und einer vermehrten Berichterstattung feststellen. Beide Kurven gehen zeitgleich nach oben. Wenn es eine Beeinflussung durch die Medien gegeben hätte, hätten die Medien mit Berichterstattung „massemäßig vorlegen“ müssen. Die Themenfelder, über die das Publikum nachdenke, hätten sich seit der Bundestagswahl 2013 verändert. Damals war noch Arbeit beziehungsweise Arbeitslosigkeit das beherrschende Hauptthema.
Einer der Höhepunkte war – wie auch schon in den vergangenen Jahren – der Auftritt von Whistleblower Edward Snowden. Per Video zugeschaltet erinnerte er daran, dass Menschen, die ihm bei seiner Flucht halfen, immer noch Schwierigkeiten mit Behörden hätten. Menschen, die sich mit dem etablierten System anlegen, machten sich Feinde, mahnte Snowden. Journalisten und Internetaktivsten sind gemeinsam gefragt, wenn es um Hintergründe und oft auch Abgründe geht, wenn Überwachung und Kontrolle Demokratie und freie Gesellschaft bedrohen. Die Hackerkongresse haben sich in den vergangenen Jahren auch zu Foren für Meinungsfreiheit und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung entwickelt. In seinem „netzpolitischen Wetterbericht“ gab Markus Beckedahl von netzpolitik.org dem Publikum die Mahnung auf den Weg: „Mit dem Ziel der Sicherheit wird extreme Unsicherheit geschaffen.“ Insider sollen Einblicke gewähren und auf Fehlentwicklungen aufmerksam machen. Das ist schwierig, wenn etwa Hans-Christian Ströbele (Grüne) über Untersuchungsausschüsse nur sagen darf, was schon andernorts zu lesen war.
Die neue Nähe zwischen digitaler Bohème und Medienschaffenden kann man seit fünf Jahren bei der Media Convention Berlin (MCB) beobachten. Laut eigener Darstellung ist die MCB einer der „wegweisenden Medienkongresse in Europa“ und wird zusammen mit der re:publica in Berlin veranstaltet; die Konferenz bezeichnet sich selbst als „the most inspiring festival for the digital society.“ Die MCB wurde von 2005 bis 2013 als „Medienwoche@IFA“ im Rahmen der Internationalen Funkmesse durchgeführt. Ihr Wechsel zur re:publica 2014 und die Umbenennung in Media Convention trägt den Veränderungen in der Medienbranche Rechnung. Im vergangenen Jahr wurde die Debatte über Glaubwürdigkeit und Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf dem Gelände der Station erörtert und nicht wie früher in den Messehallen der IFA. „The Times They are a-changin‘“ – die MCB stellt im Mai die provokante Frage, „ob sich digitale Angebote noch am Menschen orientieren oder der Mensch sich an neuen Technologien“. Nutzer müssten täglich entscheiden, welchen neuen Angeboten und Plattformen sie Aufmerksamkeit schenken, Politik und Gesellschaft müssen dazu die passenden Rahmenbedingungen und Regeln liefern. Die Digitalisierung wird die Medienwelt weiter umwälzen, und der Einfluss von Algorithmen und künstlicher Intelligenz auch und gerade im Journalismus wird eine der spannendsten Fragen der kommenden Jahre.
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