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35 JAHRE MAUERFALL
Traumschloss DDR
Foto © Bernd Lammel
35 Jahre Mauerfall

Traumschloss DDR 

Freiheit ist für den Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk eine Angelegenheit, die nur funktionieren kann, wenn sich der Einzelne bewegt und in seine eigenen Angelegenheiten einmischt. Er sagt: „Genau das wird einem in einer Diktatur mit allen Mitteln abgenommen, abtrainiert, brutal weggenommen.“ In seinem Buch „Freiheitsschock“ geht er der Frage nach, warum Freiheit und Demokratie so geringschätzig betrachtet und Diktaturen wie die in Russland verherrlicht werden. Für ihn gibt es nichts Wichtigeres als Freiheit. Ohne Freiheit ist alles andere nichts wert, und es gibt keinen Frieden ohne Freiheit. 

 

 

 

Ende August ist Ihr Buch „Freiheitsschock“ erschienen. Darin geht es um die Geschichte Ostdeutschlands seit 1990 und den Kampf um die Freiheit. Warum war es Ihnen wichtig, dieses Buch im 35. Jahr des Mauerfalls zu veröffentlichen?

! Ich habe 2019 das Buch „Die Übernahme“ geschrieben und Steffen Mau das Buch „Lütten Klein“. Beide Bücher wurden damals zur gleichen Zeit veröffentlicht – wie auch heute sein Buch „Ungleich vereint“ und mein Buch „Freiheitsschock“. Wir haben damals beide einen Perspektivenwechsel vorgenommen, denn es ging in den Debatten bis weit in die 2010er Jahre vor allem in der Frage der Deutschen Einheit um fiskalische Fragen. Geld stand immer im Mittelpunkt. Es ging weniger um die kulturellen und mentalen Folgen des Transformationsprozesses. Sowohl Steffen Mau wie auch ich haben in unseren Büchern diese Perspektive methodisch und auch inhaltlich ganz verschieden, aber komplementär verändert.

? Inwiefern?

! Indem wir nach den kulturellen, mentalen und sozialen Folgen der Deutschen Einheit für die ostdeutsche Gesellschaft gefragt haben. Dabei haben wir keine Opfernarrative bedient, sondern die ostdeutsche Gesellschaft als Handlungsobjekt ernst genommen und in diesem Spannungsfeld versucht, herauszufinden, was mit der ostdeutschen Gesellschaft passiert ist. Bei mir war ein zentraler Punkt die Frage: Was hat sich für die Ostdeutschen ganz konkret verändert? Im Zentrum stand bei mir die vollkommene Veränderung der Arbeitsgesellschaft Ostdeutschlands – die anderes war als die der Bundesrepublik. In der Arbeitsgesellschaft der DDR hat sich das komplette Sozialleben in Ostdeutschland durch die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 praktisch auf einen Schlag verändert. Beide Bücher haben die gesellschaftspolitischen Veränderungen und Prozesse, die Wiedervereinigung und den Transformationsprozess noch einmal ganz neu beleuchtet.

? Hat sich in den vergangenen fünf Jahren so viel verändert, dass ein neues Buch notwendig wurde? 

! Es hat sich wahnsinnig viel verändert, und was damals absehbar war, ist zur traurigen Realität geworden: Extremistische Kräfte von links wie rechts erstarken immer mehr.

? Sie erstarken weltweit.

! Sie erstarken auch in Deutschland, aber in einem ganz besonderen Maße in Ostdeutschland. Diese Kräfte sind so stark, dass ich sie als freiheitsbedrohend, als demokratiebedrohend, als staatszersetzend ansehe. Staatszersetzend im Sinne: gegen das Grundgesetz gerichtet. In diesem Kontext stellte ich mir einige Fragen: Wie kann man erklären, was da gerade passiert? Warum sind so viele Menschen bereit, sich als Kälber zur Schlachtbank führen zu lassen, wo doch offenkundig ist, was Extremisten von links wie von rechts wollen, nämlich die Freiheit abschaffen und einen gänzlich anderen, einen autoritären Staat schaffen.

Warum fällt es vielen Menschen gerade in Ostdeutschland so schwer, sich solidarisch mit der Ukraine zu zeigen? Warum hat es so viele Menschen an die Seite Putins gespült? Das war der Ausgangspunkt für dieses Buch. Ich habe mich in den letzten Jahren in vielen Interviews, vielen Essays und Medienbeiträgen geäußert und in diesem Buch versucht, das auf ein paar Fragen zuzuspitzen. Was ist die Staatsvorstellung in Ostdeutschland? Was meinen die Menschen, was ein demokratischer Staat sein soll, was er kann und was nicht? In Ostdeutschland haben wir das irre Phänomen, dass sich viele Leute als Staatskritiker gerieren – tatsächlich aber verlangen sie nach einem Staat, der auch noch die privatesten Angelegenheiten regelt und der ihnen ihr gesellschaftliches Engagement abnimmt.

? Sie haben das Buch Ihrem Freund Gerd Poppe gewidmet, dessen Lebens­thema Freiheit ist. Er gehört zu den Vordenkern der Freiheitsrevolution von 1989. Wie stellte er sich Freiheit vor?

! Gerd Poppe gehört zu den Urgesteinen der Opposition in der DDR, der trotz Reiseverbot enge Kontakte zu Intellektuellen in West und Ost hatte. Sein großer Traum war eine offene Gesellschaft. Zu einer Gesellschaft, in der sich alle nach ihren Möglichkeiten entfalten können, gehört ein größtmögliches Maß an Freiheit. Freiheit kann nur durch den Staat eingeschränkt werden, und Poppe träumte von einem freiheitlichen, demokratischen Staat, gegründet auf freien Wahlen. Das war vor dem Hintergrund der DDR evident. Insofern hat sich für ihn mit der Freiheitsrevolution 1989/90 ein großer Traum verwirklicht.

Bei allen Kritikpunkten, bei allem, was man an der Gegenwart, am bundesdeutschen Staat kritisieren kann und muss: Dieser Staat ist in den Augen von Poppe einer der freiheitlichsten Staaten, eines der freiheitlichsten Gesellschaftssysteme. In der Geschichte ist das nicht verwunderlich, denn bis vor 100, 150 Jahren gab es nichts Vergleichbares. Wir leben heute nicht nur in einem der sichersten und sozialsten Länder, sondern auch in einem der freiesten Länder der Welt.

? Der Kampf um die Freiheit ist auch Ihr Lebensthema, so steht es im Klappentext des Buches. Sie sind in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen. Wie sah Ihr Kampf um die Freiheit in der DDR aus?

! Ich habe versucht, mich nicht dem Kollektivierungswahn zu ergeben. Ich versuchte, ich zu bleiben, mich von den Anmaßungen des Staates, von den Kollektivierungsanmaßungen fernzuhalten. Ich war ein junger Typ, mir fiel das leichter als Älteren, denn ich hatte nur für mich Verantwortung. Das war mein persönlicher Kampf, den ich als Teil des Engagements für eine freiheitliche Gesellschaft verstanden habe.

? Als 1989 die Mauer fiel, lagen sich Ost und West in den Armen, und die Ostdeutschen dachten, dass jetzt die grenzenlose Freiheit auf sie wartet. Sie schreiben in Ihrem Buch: „Viele Ostdeutsche haben den Sprung in die Freiheit nicht als Befreiung erlebt, nicht gefühlt.“ Wann erlebten die Ostdeutschen den Freiheitsschock – sofort nach dem Mauerfall? 

! Ich war nie ein Freund der Mehrheit der Menschen in der DDR, ich habe das angepasste Verhalten nicht verstanden. Daran hat sich durch die Freiheitsrevolution von 1989 nicht viel geändert. Nur weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben, sind nicht viele plötzlich zu Freiheitsfreunden oder Demokraten geworden. Ich hatte allerdings immer auch Verständnis dafür, weil es das gute Recht jedes Einzelnen ist, einen Weg zu finden, wie man mit Anpassung überlebt. Die Revolution von 1989 habe ich niemals als eine Revolution wahrgenommen, die von einer Mehrheit gemacht worden wäre. Die Masse wartet ab, und wenn klar ist, wer gewinnt, schlägt sie sich auf die Seite der Sieger. Das ist ein Grundgesetz der Geschichte. Menschen, die sich die Freiheit selbst erkämpft haben, die diesen Freiheitskampf als Teil ihrer Identität wahrnehmen, verhalten sich anders als Leute, die Freiheit geschenkt bekommen. Ich unterscheide deshalb zwischen Freiheitskämpfern und Befreiten.

? Können Sie das erklären?

[…]

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