Trau, schau wem, sagt der Volksmund. „Lügenpresse!“ hört man vor der Dresdner Semperoper nach wie vor Montag für Montag. Und „Wir sind das Volk!“ hört man auch. Im Osten nichts Neues, ist man versucht zu denken, zumindest mancher im Westen, in dem man glauben möchte, die „Montagsspaziergänge“ der „Pegida“ und ihrer Nachkömmlinge seien ein Gespenst aus grauer sozialistischer Vorzeit, das umgeht in Deutschland, aber eben in dem „anderen“ Deutschland.
Es ist zu kurz gesprungen, wollte man den östlichen Bundesländern den Vortritt lassen, wenn es um Wut, Protest und Empörung gegen „die da oben“ geht. Das Vertrauen in öffentliche Institutionen oder in unsere Demokratie ist bei einem Teil der Bevölkerung erschüttert. Und das Misstrauen macht keineswegs an Landesgrenzen Halt.
Als der Mitteldeutsche Rundfunk Anfang des Jahres den Vorsitz in der ARD übernehmen durfte, habe ich unterstrichen, dass diese Zeit des Vorsitzes mit einer Zeit enormer Herausforderungen für die Gesellschaft, die Politik, die Medien und damit auch besonders für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusammenfällt. Die Stichworte kennen wir nur allzu gut: die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, die erstarkenden rechtspopulistischen Parteien auch bei unseren Nachbarn, die Bewältigung der Flüchtlingskrise als die große Aufgabe unserer Zeit.
Gleichzeitig haben wir es mit einer stärkeren Polarisierung von Interessen zu tun, einer teilweisen Erosion von Wertegrundlagen und leider auch mit zunehmender Gewaltbereitschaft. Zum ersten Mal sind von solcher Gewalt auch Journalisten in Deutschland betroffen, gegen die sich Hass und massive verbale und sogar auch körperliche Attacken richten. Dies erleben wir in einer Vehemenz, die ich persönlich nie für möglich gehalten hätte.
Journalisten und unabhängige Medien stehen unter zunehmendem Druck, wie Reporter ohne Grenzen gerade wieder mit Ernüchterung bilanziert hat. Bitter: Wer bisher die jährliche Rangliste über Repressionen in anderen Ländern resigniert und achselzuckend zur Kenntnis genommen hat, muss feststellen, dass die Anfeindungen gegenüber den Medien längst unser Land erreicht haben. Deutschland hat sich in der gerade veröffentlichten Rangliste um vier Plätze auf Rang 16 verschlechtert – eine Folge der gestiegenen Anzahl von Drohungen und gewalttätigen Übergriffen gegen Journalisten, wie Reporter ohne Grenzen resümiert.
Die Intensität und Gemeinheit der Angriffe haben zugenommen, was an unseren Kolleginnen und Kollegen nicht spurlos vorbeigeht und in Redaktionen zur Verunsicherung führt. Meist sind es Eskalationen bei Kundgebungen und Versammlungen, bei denen auch in diesem Jahr schon wieder Journalisten und Journalistinnen verletzt wurden. Doch solche Vorfälle gibt es nicht nur in Mitteldeutschland. Die Rufe über die „Lügenpresse“ hallen durch ganz Deutschland und weltweit durch die Internetforen. Sie richten sich nicht nur gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir dürfen sie nicht überhören und wir dürfen uns nicht von ihnen einschüchtern lassen. Unsere Antwort kann nur sein: guter, aufklärender Qualitätsjournalismus, zu dem auch Transparenz im journalistischen Handeln und eine Fehlerkultur gehören, die von Offenheit und Kritikfähigkeit gegenüber den Beitragszahlern geprägt ist. Zur Abbildung der Lebenswirklichkeit der Menschen gehört, vielfältige, differenzierte und differenzierende Perspektiven einzunehmen und sich immer wieder auch außerhalb der gängigen politischen Agenda zu bewegen. Maßstab für einen solchen Journalismus ist die Relevanz für die Gesellschaft, die Gemeinwohlorientierung und der Respekt gegenüber den Bedürfnissen der Betroffenen.
Betroffen macht auch, dass es die Menschen im Osten waren, die vor gut einem Vierteljahrhundert nach den Erfahrungen in einem totalitären System in Deutschland und in den osteuropäischen Nachbarländern die Medienfreiheitsrechte erstritten und heute die Garanten einer unabhängigen und freien Berichterstattung in einer demokratisch legitimierten Gesellschaft angegriffen und in Frage stellt werden.
Zu der Herausforderung an uns alle gehört, auch uns selbst kritisch nach den Ursachen für diese Entwicklung zu fragen.
(…)
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Bernd Lammel
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