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UTOPIE Verkehrswende
Staatstrojaner reloaded: Angriff auf den Bürger
Mobilität der Zukunft

Staatstrojaner reloaded: Angriff auf den Bürger 

Von Albrecht Ude

Zwei neue Gesetzesinitiativen belegen (wieder einmal), dass die Regierung die grundlegenden Probleme der digitalen Welt nicht verstanden hat. Die Administration beschädigt den Rechtsstaat und scheint nicht mehr in der Lage, drängende Probleme zu lösen.

Umgangssprachlich nennt man so etwas wohl „starken Tobak“: „Die Grundrechte der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.“

So steht es im Referentenentwurf des „Gesetzes zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“, den das Webportal netzpolitik.org zugespielt bekam und am 28. März wunschgemäß publiziert hat [1].

Drei Artikel des Grundgesetzes (GG) sollen da „nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt“, also ramponiert werden. Und auch noch drei der ersten zwanzig Artikel des GG, in denen die Grundrechte jedes Menschen (nicht nur Staatsbürgers) festgeschrieben sind. Grundrechte sind, notabene, Rechte des Menschen gegen den Staat.

Die ersten zwanzig Artikel des GG sind besonders vor Änderungsbegehrlichkeiten geschützt und dürfen in ihrem „Wesensgehalt“ nicht verändert werden. Noch stärker ist lediglich Artikel 1 des GG besichert, der nicht einmal im Wortlaut geändert werden darf.

Das soll nun durch ein einfaches Gesetz geschehen, nicht etwa durch eine oder genauer: durch drei Grundgesetzänderungen.

Der Skandal ist, dass das kein Skandal ist.

Nun ist die Sache so: Diesen Gesetzentwurf hat Bundesinnenminister Seehofer ja nicht selbst geschrieben. Vielleicht hat er ihn nicht mal gelesen (was schade wäre)? Ein Minister verlässt sich vertrauensvoll auf das Handeln seiner Beamten. Zumindest sollte er das können, denn die Beamtenschaft, die Administration, der nicht gewählte Teil der Exekutive, sollte normalerweise die Fachkompetenz des Staates bewahren, während die Regierungen wechseln. So sollte es sein.

Nun gibt es gute Gründe, daran zu zweifeln. Im Einzelfall etwa, man denke an den letzten Präsidenten des Verfassungsschutzes. Ein Spitzenbeamter ist gehalten, sich öffentlich neutral zu verhalten und zurückzuhalten. Politische Äußerungen sind eben Sache der Politiker, dafür werden sie gewählt. Für den Chef eines Geheimdienstes gilt das Zurückhaltungsgebot ganz besonders. Hans-Georg Maaßen hatte sich durch umstrittene politische Einlassungen zur Tagespolitik unmöglich gemacht und musste seinen Posten beim Verfassungsschutz räumen. Nachdem anfänglich geplant war, ihn zu befördern, wurde er nach einem öffentlichen Aufschrei in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Ein Einzelfall.

Man darf aber auch die Frage stellen, wie die Administration insgesamt ihre Entscheidungen trifft. Dazu lohnt ein Blick auf verschiedene Sicherheitsgesetze. Erstens das oben genannte „Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“. Damit soll das, was bislang nur Polizeibehörden zur Abwehr von Terrorismus einsetzen dürfen, auch den Geheimdiensten erlaubt werden: staatliches Hacking. Genauer geht es um das Instrument der „Online-Durchsuchung“ und des „Staatstrojaners“.

Diese beiden Worte müssen erklärt werden. „Online-Durchsuchung“ ist eine Beschönigung, damit soll eine Analogie zur Durchsuchung einer Wohnung angedeutet werden. Wenn allerdings die Polizei eine Wohnung durchsucht, dann muss das erstens offen geschehen, also mit Wissen und im Beisein des Bewohners, zudem darf dieser seinen Anwalt dazu rufen. Und nach der Durchsuchung ist die Polizei wieder von dannen.

Bei der „Online-Durchsuchung“ hingegen soll der Betroffene gar nicht merken, dass die Ermittler in seinem Computer sind. Sie findet insgeheim statt. Und es ist auch keine einmalige „Durchsuchung“, sondern eine ab der erfolgreichen Intrusion in einen Computer laufende Dauerüberwachung.

Erstmals geplant war diese Überwachungsform vor mittlerweile mehr als zehn Jahren im so genannten BKA-Gesetz. Die Verfassungsbeschwerden dagegen (Az.: 1 BvR 370/07 und Az.:1 BvR 595/07) waren erfolgreich.

Genauer sollte dem Bundeskriminalamt erlaubt sein:

  • Durchsuchung des gesamten Computers und aller damit verbundenen Geräte (externe Festplatten, lokale Netze und anderes mehr)
  • Herunterladen von ausgewählten Dokumenten (Texte, Bilder, …)
  • Protokollierung aller Tastaturanschläge („Keystroke Logging“)
  • Protokollierung von Internetzugriffen (Webadresse, Datentransfers, Verweildauer)
  • Passwort-Protokollierung (Web-Dienste, Entschlüsselung von Daten und anderes mehr)
  • Übermittlung des vollständigen Bildschirminhalts („Screenshots“)
  • Abfangen von gesendeten und empfangenen elektronischen Nachrichten

Ebenso möglich wäre die Raumüberwachung durch Aktivierung des Mikrofons und der Kamera des Computers.

Solch einen Überwachungsangriff muss man als „maximal-invasiv“ bezeichnen. Wenn ein solcher Zugriff gelingt, steht der Angegriffene nackt da und merkt es nicht einmal.

2016 hat das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Ebenso definierten die Richter zentrale Vorgaben für heimliche Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Seither taucht die „Online-Durchsuchung“ in zahlreichen „Polizeiaufgabengesetzen“ der Länder auf. Gegen etliche davon laufen bereits wieder Verfassungsbeschwerden.

Lesen Sie den ganzen Artikel im aktuellen Heft.

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