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UTOPIE Verkehrswende
Deutschland rechts außen
Foto: © Bernd Lammel
30 Jahre Mauerfall

Deutschland rechts außen 

Von Matthias Quent

Der Osten liegt nicht nur beim Blick auf die Karte rechts außen: Die Landtags­wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst 2019 zeigen, dass der dort dominante völkisch-nationalistische Flügel der AfD seine Machtbasis ­weiter ausbaut. Die Wahlen verändern die politische Landschaft grundlegend – die ­Folgen des Erstarkens der radikalen Rechten werden Stück für Stück spürbar.

Zunächst für Migranten und andere Minderheiten und dann für jene, die den Rechten als politische Feinde gelten, beziehungsweise Kirchen, NGOs und andere. Schleichend erreicht die Normalisierung von autoritärer, chauvinistischer und rassistischer Politik eine neue Qualität. Was also tun? Der Zentralrat der Juden in Deutschland und andere Organisationen rufen dazu auf, die AfD gerade wegen ihrer neuen Stärke im Osten auszugrenzen. Aber der Schulterschluss der Demokraten bröckelt. Denn gleichzeitig bedient auch die sächsische CDU in ihrem Wahlprogramm und im Wahlkampf Rechtsaußen-Narrative. Die Frage von Koalitionen zwischen AfD und CDU in Ostdeutschland scheint eher eine Frage des „Wann“ als des „Ob“ zu sein.

Was eint das Rechtsaußen-Milieu? Wie sehr schadet die höhere Rechtsradikalismus-Belastung in den neuen Ländern der Bundesrepublik? Muss man den Osten rechts liegen lassen – einen politischen und kulturellen antifaschistischen Schutzwall gegen die undemokratischen Einflüsse errichten? Gewählt wird die AfD aus unterschiedlichen Gründen: Im Osten sind sozial­populistische bis nationalsozialistische Stimmen laut, die den Menschen höhere Renten und bessere soziale Absicherung versprechen. In der West-AfD ist unterdessen der marktradikale Wohlstands-Chauvinismus dominant. Im Bundestag und in der Dethematisierung und Umdeutung sozialer Fragen zu kulturellen beziehungsweise ethnisierenden Problembeschreibungen tritt die Spaltung offen zutage. Auch wenn die Ursachen verschiedene sind, kann man sich auf gemeinsame Feindbilder einigen. Trotz der inneren Zerrissenheit gelingt es der AfD und ihrem publizistischen Vorfeld, mit reaktionären Themensetzungen (gegen Migration und Kosmopolitismus, gegen Gendergerechtigkeit und politische Korrektheit, gegen nachhaltige Klimapolitik und anderes mehr) soziale Unterschiede und wirtschaftliche Interessenskonflikte beiseite zu wischen. Zum Beispiel zwischen Ostdeutschen, die sich als benachteiligt wahrnehmen und es zum Teil auch sind, einerseits und andererseits den oft in mehrfacher Hinsicht privilegierten (oder als solche wahrgenommenen) Westdeutschen. Das Rechtsaußen-Milieu in Ost und West – und darüber hinaus – eint nicht der Protest gegen wirtschaftliche Abstiegsängste, sondern der gegen den Verlust von Privilegien männlicher, weißer und kultureller Vorherrschaft. Dieser Schulterschluss ermöglicht auch Bündnisse zwischen jenen, deren materielle Interessen sich bei genauer Betrachtung antagonistisch gegenüberstehen – und die damit letztlich immer auch gegen ihre eigenen materiellen Interessen wählen.

Nun ist es so, wie es ist: Die Deutschen diskutieren – auch dank der Bild-„Zeitung“ – lieber über angebliche Schweinfleischverbote in einem Leipziger Kindergarten als über nationale und globale Ungerechtigkeiten. Die neuen Bundesländer machen da keine Ausnahme. Schon Pegida hat gezeigt, wie rechtsradikale Bewegungen umherwabernde, nachvollziehbare Unzufriedenheit und Zukunftspessimismus wie ein Kompressor ansaugen und als komprimierten Rassismus in die Öffentlichkeit herausblasen.

Eigentlich ist der politische Einfluss der ostdeutschen Wähler gering – aus demokratischen Gründen. Denn in allen ostdeutschen Bundesländern zusammen leben weniger Wahlberechtigte als im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. In absoluten Stimmen erhält die AfD auf Bundesebene mehr Unterstützung aus den alten als aus den neuen Bundesländern – als reine Ostpartei wäre sie kaum eine echte Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie. Aber auch der Westen ist nicht immun gegen den Rechtsradikalismus, und die AfD ist eben keine Ostpartei, sondern ein Sammelbecken für rechte und rechtsradikale Stimmen in allen Landesteilen. Mehr noch: Der bundesweite Rechtsradikalismus konzentriert seine Kräfte im Kampf um den Osten, um dort neue Kräfte für den Sturm auf die liberale Demokratie der Bundesrepublik zu sammeln. Jede Menge Kader, Geld und diverse Unterstützungsleistungen kommen zu diesem Zweck in den Osten.

Wenn in Brandenburg oder Sachsen die AfD bei Wahlen die meisten Stimmen erhält, ist das noch kein Beleg dafür, dass die Bundesrepublik an sich nach rechts driftet. Viel beunruhigender ist die sprachliche und programmatische Annährung von Demokraten an die Rechten – etwa in der Asylpolitik. Wissenschaftler weisen im „Populismusbarometer“ nach, dass die Stimmenobergrenze für die AfD bundesweit bei etwa 14 Prozent liegt. Die Akzeptanz für rechtsradikale, insbesondere rassistische Positionen, ist in den neuen Bundesländern deutlich größer, was sich nun in den Wahlergebnissen der AfD ausdrückt. Aber es ist nicht so, dass massenhaft einst liberale Personen nun zum Rechtsradikalismus konvertiert sind. Vielmehr hat die öffentliche Relevanz des für die radikale Rechte zentralen Migrationsthemas im Gleichschritt mit dem Angebot, einer zunächst als marktradikale Professorenpartei gegründeten und seriös auftretenden Partei rechts der Union zu einer rasanten Radikalisierung geführt. Die Rechten wählen nun auch so, wie sie schon immer denken.

Ein großer Teil der AfD-Wählerschaft ist hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen schon lange der radikalen Rechten zuzurechnen – und dieses Einstellungspotenzial wächst nicht, sondern wird sogar kleiner. Bei den Europawahlen im Mai 2019 hat die Rechtsaußen-Partei im Vergleich zu den Bundestagswahlen sogar Stimmen verloren. Und vor allem in Westdeutschland sind die Grünen – im postmateriellen Kulturkampf der Antipol der AfD – auf Siegeskurs. Im Zuge gesellschaftlicher Liberalisierung radikalisiert sich eine im Kern reaktionäre Minorität. Weil sie den Verlust vor allem kultureller Vorrechte als weiße (männliche) Deutsche fürchten, nähren sie Kulturpessimismus und Untergangsphantasien und sympathisieren mit extremen politischen „Alternativen“. Unter anderem weil in Ostdeutschland die Möglichkeit des Untergangs eines Systems auf Grund der eigenen Erfahrung stärker präsent ist als im Westen, gilt vielen radikalen Rechten der Untergang der liberalen Demokratie als ausgemacht – wobei das attestierte „Staatsversagen“ in der Asylpolitik nur als ein weiterer Beleg für eine umfassende Niedergangs-Prognose der westlichen Zivilisation herangezogen wird.

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