Wenn im Ersten Deutschen Fernsehen die Wetterkarten aufleuchten, ist er den Zuschauern längst vertraut: Karsten Schwanke, Diplom-Meteorologe, Wissenschaftsjournalist und Moderator, begleitet die Zuschauer der ARD seit Jahrzehnten durch Hochs und Tiefs – meteorologisch wie gesellschaftlich. Doch beim Wetter geht es längst nicht mehr nur um Sonnenschein oder Regenwahrscheinlichkeit. Der Klimawandel hat das Wetter politisiert. Immer häufiger wird Schwanke zum Übersetzer zwischen wissenschaftlichen Fakten und öffentlicher Wahrnehmung, und manchmal fühlt er sich dabei wie ein Feuerwehrmann. Im Interview mit NITRO spricht er über seine Verantwortung in Zeiten der Klimakrise, über die wachsende Zahl von Wetterextremen – und darüber, warum seriöse Kommunikation heute genauso wichtig ist wie präzise Prognosen.
? Sie präsentieren in der ARD seit vielen Jahren das Wetter – erinnern Sie sich, seit wann es in der Wetterpräsentation nicht mehr nur ums Wetter, sondern auch ums Klima geht?
! Als ich vor drei Jahrzehnten als Meteorologe begann, waren die Wetterberichte im Fernsehen wesentlich unterhaltsamer. Aber auch damals spielte der Klimawandel schon eine Rolle – allerdings längst nicht in Häufigkeit und der Dramatik, die wir es heute erleben.
? Die Wetterwarnungen, die Sie den Zuschauern als Meteorologe in der ARD ankündigen, können immer öfter über Leben und Gesundheit entscheiden. Haben Sie den Eindruck, dass Sie als Meteorologe der Überbringer schlechter Nachrichten sind, während die Klimafrage in der Politik nur noch einen untergeordneten Stellenwert einzunehmen scheint?
! Eine meiner zentralen Aufgaben als Meteorologe im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es, die Bevölkerung bei Unwettersituationen zu warnen – das ist im Rundfunkstaatsvertrag festgeschrieben. Interessanterweise habe ich nie das Gefühl, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. Ich liefere als Meteorologe an Tagen mit dramatischen Wetterereignissen Orientierung, oft mit einer deutlich erhöhten Schlagzahl an Live-Extraschalten in verschiedenen Sendern. Das hilft natürlich, solche Situationen zu bewältigen. Ich sehe es als meine Pflicht an, die Menschen zu warnen und darüber zu informieren, was wie, wann und wo passiert. Es ist wie ein Mitlaufen, ein Live-Begleiten eines Unwetters, und man fühlt sich dabei tatsächlich fast wie ein Feuerwehrmann.
Möglicherweise gibt es auch Menschen, die uns Meteorologen als Überbringer schlechter Nachrichten sehen, aber das sind, glaube ich, nur wenige. Mir geht es aber in erster Linie darum, Daten und Fakten zu liefern und als Wissenschaftsjournalist zu erklären, was ich aus wissenschaftlichen Analysen, Studien und Publikationen erfahre.
Gleichzeitig sehe ich eine wachsende Diskrepanz zwischen dem, was wir aus der Forschung wissen, und dem Stellenwert, den diese Erkenntnisse im gesellschaftlichen und politischen Alltag bekommen. Es gibt immer Ereignisse, die wichtiger genommen werden – ob Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine oder der Konflikt im Nahen Osten. Mit jedem aktuellen Ereignis rückt der Klimawandel (erst einmal) ein Stück weiter aus dem Gesichtsfeldder Menschen.
Aber auch in den Medien wirken Verdrängungsmechanismen
? Wird der Klimawandel verdrängt, weil er weit weg erscheint und für viele Menschen schwer greifbar ist?
! Ja, er wird häufig verdrängt – dabei ist er die größte geopolitische Krise, die die Menschheit je erlebt hat. Jeder kann in den Berichten des Weltklimarats (Anmerkung der Redaktion: IPCC) nachlesen, was passiert, wenn die Erderwärmung in diesem Tempo weitergeht. Dann müssen wir uns in Zukunft mit großen Verwerfungen auseinandersetzen, die deutlich eurer sein werden, als wir uns das heute vorstellen können.
? Während der verheerenden Waldbrände in Griechenland sagte ein griechischer Wissenschaftler einem Reporter der ARD, dass die radikalen Veränderungen durch die Klimakrise in den Medien nicht mit der angemessenen Ernsthaftigkeit thematisiert würden. Er sprach in diesem Zusammenhang sogar vom Versagen der Medien. Teilen Sie diesen Eindruck?
! Es gibt natürlich immer wieder – und zum Glück – eine wachsende Anzahl an Journalistinnen und Journalisten, die sich um das Thema Klimakrise kümmern und versuchen, das Thema immer wieder online und in Fernsehsendungen und Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften zu platzieren. Aber auch in den Medien wirken Verdrängungsmechanismen, und in Anbetracht der Größe dieser Krise wird nach wie vor zu wenig darüber berichtet. Insofern trifft dieser Vorwurf auf Teile der Branche sicher zu.
? Der März 2025 war der wärmste je in Europa gemessene Monat. Hinzu kamen Hochwasserereignisse in Spanien und Italien, und Unwetter mit Sturm und Starkregen trafen auch Deutschland. Trotzdem gibt es die Argumentation: Kälte und Hitze gab es schon immer, der Klimawandel sei Panikmache. Was entgegnen Sie Menschen mit solchen Argumenten?
! Ich versuche, mit Messdaten zu antworten, historische Bezüge herzustellen und die Menschen über Wetterereignisse von vor 40, 50 oder 60 Jahren zu informieren.
Zwischen Warnsystem und Wissenschaft
? Haben Sie ein Beispiel?
! Kürzlich habe ich mir noch einmal angeschaut, mit welchen Kältewellen wir zum Beispiel im Winter 1978/79 (vor allem im Norden und Osten Deutschlands) zu kämpfen hatten. Oder gehen wir zurück ins Jahr 1962, das war der letzte Winter, in dem der Bodensee komplett zugefroren war, sodass sogar Autos auf dem Eis des Sees fahren konnten. Kommt heute mal eine kleine Kältewelle, dann heißt es sofort: Seht ihr, es wird immer noch kalt, das gab es schon immer.
Kältewellen wie damals können theoretisch immer noch vorkommen, aber ihre Wahrscheinlichkeit ist deutlich geringer geworden als noch vor 50 oder 60 Jahren. Wir messen überall steigende Temperaturen, weniger Frosttage und eine abnehmende Schneedecke. Der natürliche Klimawandel war immer Teil der Erdgeschichte, aber das aktuelle Tempo der Veränderung ist beispiellos – und darin liegt die eigentliche Bedrohung.
Krise im Zeitraffer: Warum 1,5 Grad alles verändern
? Werden Mensch und Natur künftig Probleme bekommen, sich ans Klima anzupassen?
! Definitiv! In den letzten 60 Jahren ist die globale Mitteltemperatur um etwa 0,8 Grad gestiegen. Klingt wenig, verändert aber die Dynamik der Atmosphäre dramatisch: Die Hitzewellen in Deutschland sind um fünf Grad wärmer geworden. Unwetter und Starkregen – wie etwa die Katastrophe im Ahrtal – werden häufiger und intensiver. Dennoch vergessen viele Menschen solche Ereignisse schnell, solange sie selbst nicht betroffen sind. Menschen sind Gewohnheitstiere. Aber wir müssen unsere Gewohnheiten verändern – und die Politik muss dafür die Leitplanken setzen …
? … und in den Klimaschutz investieren.
! Genau. Ein gutes Beispiel ist die Infrastruktur der Deutschen Bahn. Könnte die Bahn von Berlin nach Köln in drei Stunden fahren, würden die Menschen den Zeitaufwand nicht als Verlust empfinden und vom Auto oder Flugzeug auf die Bahn umsteigen. Denn wenn man in drei Stunden von Innenstadt zu Innenstadt kommt, wäre das für alle ein echter Gewinn.
? In einem Interview auf Utopia.de kritisieren Sie die unzureichende Vorbereitung auf Extremwetterereignisse in Deutschland. Was genau muss dringend verbessert werden?
! Wir müssen stärker zu einer Impact-Vorhersage oder Warnung kommen und dabei noch exakter sagen: Was bedeutet ein Wetterereignis für die Menschen, die in einem Unwettergebiet wohnen? Mit einer Vorhersage von Starkregen von 80 oder 100 Litern Regenwasser pro Quadratmeter können viele kaum etwas anfangen.
Extremwetter als neue Normalität
? Bis sie davon betroffen sind.
! Richtig. Im September 2025 kam es in Bedburg im Rhein-Erft-Kreis durch Starkregen zu erheblichen Überschwemmungen, die besonders ein Neubaugebiet trafen, das klimaresilient gebaut worden war. In der Nacht zum 9. September fielen dort mehr als 150 Liter Regen pro Quadratmeter, und die hochwassersichernden Maßnahmen waren den Wassermassen nicht gewachsen, obwohl das Gebiet mit Regenrückhaltebecken gebaut wurde.
Der Bürgermeister von Bedburg stand vor den Fernsehkameras und beklagte, dass die Baumaßnahmen nicht funktioniert hätten, obwohl man sich doch auf ein hundertjährliches Starkregenereignis vorbereitet hätte. Doch diese 150 Liter pro Quadratmeter waren etwa das Dreifache des sogenannten hundertjährliches Ereignisses. Solche Dimensionen zeigen, dass unsere bisherigen Maßstäbe nicht mehr ausreichen.
? Die Erderwärmung um 1,5 Grad wird in den Berichterstattungen erwähnt, aber die Frage ist: Klingt das für die Menschen vielleicht zu „harmlos“? Müssten die Folgen des Klimawandels eventuell verständlicher erklärt werden? Klingen 1,5 Grad Erderwärmung möglicherweise zu abstrakt?
! Die Sprache der Wissenschaft (1,5 Grad Erwärmung) muss in der Kommunikation in eine allgemein verständliche Sprache für politische Entscheidungsträger und für die Menschen im Land übersetzt werden. 1,5 Grad beschreiben einen langjährigen globalen Mittelwert – aber das verstehen wir nicht! Wir müssen erklären, was der Klimawandel vor der eigenen Haustür bedeutet: dass sich Deutschland doppelt so schnell erwärmt wie der globale Mittelwert. Die Medien müssen über die Folgen des Klimawandels berichten, auch wenn man nur in begrenztem Maß vorhersagen kann, was konkret in zehn oder fünfzig Jahren passiert. Wir können Szenarien entwerfen und relativ genau abschätzen, was passiert, wenn die Erwärmung im jetzigen Tempo weitergeht. Mit der aktuellen Beschleunigung wird die Erderwärmung möglicherweise schon zur Mitte des Jahrhunderts die 3-Grad-Marke überschreiten.
Klimakommunikation braucht Klarheit, Mut
? In einem SWR-Interview prognostizierten Sie in Europa Temperaturen bis zu 45 Grad im Schatten noch vor dem Jahr 2050. Wie würde sich unsere Leben verändern, wenn Ihre Prognose eintritt?
! Bei uns würden extreme Dürrewellen auftreten. So hohe Temperaturen fördern die Verdunstung, die Austrocknung der Böden würde zunehmen. Es könnte sein, dass über viele Monate kein einziger Regentropfen fällt, und dann bekommen wir wahrscheinlich an einigen Orten Wasserstress, also Probleme mit der Wasserversorgung. An sehr heißen Tagen werden die Menschen große Mühe haben, in Büros oder Fabriken, in der Landwirtshaft oder auf dem Bau zu arbeiten. Das Baumsterben wird zunehmen, und die Probleme beim Anbau von Getreide oder Früchten auf den Feldern werden größer.
? Trotzdem gibt es Menschen, die behaupten, solange wir uns in Deutschland allein für den Klimaschutz einsetzen und viele andere Länder nicht, würde das nichts bringen. Was sagen Sie denen?
! Dieses Argument ist bequem, aber falsch. Deutschland ist beim Klimaschutz kein Musterschüler, und es ist eine sehr deutsche Denke, zu glauben, dass wir hier vorangingen. Unser Land war einst Vorreiter, verliert aber an Tempo, denn wir diskutieren beim Auto noch über den Verbrenner und über neue Gaskraftwerke. Es sind also genau gegensätzliche Entwicklungen, und andere Länder haben uns längst überholt.
? Haben Sie Beispiele?
! Trotz allem, was wir vom US-Präsidenten aus Washington D.C. tagtäglich hören, wurde eine aktuelle Umfrage unter großen globalen Unternehmen hierzulande kaum thematisiert: 40 Prozent dieser Unternehmen wollen ihre Klimaziele verstärken, weil man damit Geschäft machen und Geld verdienen kann.
Texas zum Beispiel legt gerade ein enormes Tempo beim Ausbau von Wind- und Solarenergie vor – ein US-Staat, der bisher von Öl lebte. Die Argumentation ist: Mit keiner anderen Stromproduktionsform kann der enorme Strombedarf der Rechenzentren der KI-Unternehmen so günstig gedeckt werden wie mit Wind- und Sonnenenergie.
China ist ebenfalls Weltmeister beim Ausbau der Solarenergie. Dort werden vor allem Lösungen mit regenerativen Energieformen für große Netze entwickelt. Solche Lösungen könnten auch unsere Wirtschaft voranbringen – wenn wir sie hätten. Immer mehr Innovationen kommen aus anderen Ländern, und Deutschland muss sie einkaufen. Musterschüler und Weltmarktführer war Deutschland früher auf vielen Gebieten, aber heute diskutiert die Politik, ob sich das Deutschland-Ticket lohnt und wie schnell Ladesäulen für E-Autos gebaut werden.
? Ihre Arbeit als Meteorologe scheint nicht viele positive Aspekte zu haben. Was würde Sie als Wissenschaftler optimistisch stimmen?
! Wir unterschätzen, wie viel Potenzial in uns Menschen steckt. Wir denken zu oft in alten Bahnen und übersehen, dass wir die Dynamik des Klimawandels nur mit einem ebenso dynamischen Wandel unseres Denkens und Handelns beantworten können. Wenn wir begreifen, dass die Ressourcen unseres Planeten endlich sind, wäre schon viel gewonnen.
Bettina Schellong-Lammel
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