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UTOPIE Verkehrswende
Innovationen mit Potenzial gesucht!
Foto: © Bildkraftwerk/Bernd Lammel
Wissen ist Macht

Innovationen mit Potenzial gesucht! 

von Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung

Deutschland gilt als Land der Dichter und Denker. Wir sind aber mindestens ebenso ein Land der Erfinder und Entdecker. Die Lust am Denken und die Neigung zum Tüfteln wurzeln gleichermaßen in Neugier und Erkenntnisstreben. All dies können wir stärken, wenn wir Bildung und Forschung stärken. Sie sind die Grundlagen für die gesellschaftliche Weiterentwicklung, den sozialen Zusammenhalt sowie wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand – heute wie in Zukunft.

Ganz gleich, welchen Themenbereich, welche Herausforderungen wir in den Blick nehmen: Wir brauchen eine starke Wissenschaft. Denn es ist wissenschaftliche Erkenntnis, die uns faktenbasierte Orientierung gibt, um die richtigen Entscheidungen zur Gestaltung der Zukunft zu treffen. Ob bei individualisierter Medizin, globaler Gesundheit, demografischem Wandel, Sicherheit, Digitalisierung oder Veränderungen im Klima – unsere Aufgaben sind vielfältig und die Lösungssuche ist komplex. Meistern werden wir beides nur mit Wissenschaft und Forschung. Forschung hilft uns, Bekanntes zu verbessern und Neues zu entdecken. Und wer Neues entdeckt, der ist innovativ und behält im schärfer werdenden internationalen Wettbewerb die Nase vorn.

Je mehr Menschen sich für den Reiz des Entdeckens und des Forschens begeistern lassen, desto besser wird uns Fortschritt gelingen. Als Bundesministerin für Bildung und Forschung ist es mir deshalb ein zentrales Anliegen, unsere großen Stärken in Wissenschaft und Forschung noch mehr in die Gesellschaft zu tragen. Ich möchte Menschen für das Potenzial der Wissenschaft begeistern und ihnen erklären, warum sich alle Investitionen in die Wissenschaft lohnen.

Denn der Bund engagiert sich stark für einen herausragenden Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland. Vor meiner Berufung zur Bundesministerin habe ich mich im Parlament schwerpunktmäßig mit finanzpolitischen Fragestellungen auseinandergesetzt. Aus dieser Zeit weiß ich nur zu gut: Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, ist der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung um mehr als 130 Prozent gestiegen. Mit rund 17,6 Milliarden Euro im Jahr 2018 ist er der viertgrößte im Bundeshaushalt.

Gute Politik für Bildung und Forschung braucht jedoch einen langen Atem. Nur so kann die Exzellenz gedeihen, um die wir in vielen Bereichen weltweit beneidet werden. Dabei kommt es nicht allein auf ein bloßes Mehr von Jahr zu Jahr an, sondern vor allem darauf, aus den bereitstehenden Mitteln das Beste zu machen. Und das Beste bedeutet für uns, allen die Chance zu eröffnen, die eigenen Fähigkeiten zu entfalten und in einer Gesellschaft zu leben, die sich durch sozialen Zusammenhalt und Wohlstand auszeichnet.

  1. Unser Ziel ist, noch mehr Menschen solche guten Bedingungen zu gewähren. Daran werden wir arbeiten, und um dies zu erreichen, haben wir uns in dieser Legislaturperiode viel vorgenommen. Die Koalitionsvereinbarung gibt dabei die Leitlinien vor. Exzellente Rahmenbedingungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung sind das oberste Ziel, denn sie bilden das Fundament, auf dem Ideen gründen und zu Innovationen reifen können.

In dieser Legislaturperiode stehen in der Wissenschaftspolitik entscheidende Weichenstellungen bevor. Es kommt darauf an, starke, weit in die Zukunft reichende Impulse für den Wissenschaftsstandort Deutschland zu setzen. Die großen Wissenschaftspakte von Bund und Ländern laufen in dieser Legislaturperiode aus. Aktuell arbeiten wir in den Verhandlungen daran, dass Studierende, Lehrkräfte an den Hochschulen und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch in Zukunft in einem gut finanzierten und international wettbewerbsfähigen Wissenschaftssystem lernen, lehren und forschen können.

Einige Beispiele, die aktuell weit oben auf unserer wissenschaftspolitischen Agenda stehen und die unser Engagement für die Köpfe der Zukunft veranschaulichen sollen, möchte ich herausgreifen:

Mit dem Pakt für Forschung und Innovation stärken wir seit mehr als zehn Jahren den Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland. Die vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung – Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Leibniz-Gemeinschaft – und die Deutsche Forschungsgemeinschaft erhalten hierdurch Planungssicherheit für ihre Arbeit und Budgetzuwächse von derzeit drei Prozent jährlich. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir auch über 2020 hinaus fortschreiben. Dabei leiten uns die eigenverantwort­liche Umsetzung klarer wissenschaftspolitischer Ziele sowie die ­bewährte gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder.

Hochschulen sind nicht nur Stätten exzellenter Forschung – für diese Aufgabe wollen wir sie mit der neuen Exzellenzstrategie künftig dauerhaft fördern. Universitäten und Fachhochschulen sind auch gewichtige „(Aus)Bilder“. Sie bilden in Deutschland etwa die Hälfte aller jungen Menschen aus, sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die Wissenschaft selbst. Die Zunahme akademischer Ausbildung haben wir im Zuge der Bologna-Reform gewollt und erreicht. Der mit den Ländern geschlossene Hochschulpakt war für diesen Erfolg eine wichtige Voraussetzung. Die Zahl der Erstsemester liegt heute rund 40 Prozent höher als vor dem Hochschulpakt. Mehr als 20 Milliarden Euro stellt der Bund, rund 18 Milliarden Euro stellen die Länder zwischen 2007 und 2023 bereit. Diese Mittel sollen den Hochschulen auch nach dem Auslaufen der Pakte erhalten bleiben.

Mehr Studierende bedeuten viele neue Herausforderungen für die Hochschullehre: Wir wollen das Niveau der Lehre zuverlässig stärken, indem wir eine neue Organisation schaffen. In ihr können auch die im bisherigen Qualitätspakt Lehre begonnenen guten Modellversuche weiterentwickelt, aber auch neue Ideen erprobt werden. Hochschullehre kann sich so kontinuierlich aus sich selbst heraus erneuern. Und wenn dies in Zukunft dazu führt, dass die Reputation und Wertschätzung der Hochschullehre in der Wissenschaft steigt, dann wäre viel gewonnen!

Die Digitalisierung ist ein alle Bereiche durchdringendes Thema. Sie betrifft uns alle und natürlich auch die Hochschulen und die außeruniversitäre Wissenschaft, und zwar nicht nur die Logistik, die Verwaltung und die Kommunikation zwischen Hochschule und Studierenden, Forschungsinstituten und Wissenschaftlern. Es geht auch um zeitgemäße interaktive Lehrformate, wie sie zum Beispiel im Qualitätspakt Lehre erprobt werden; es geht um die Möglichkeiten von Big Data oder Open-Access, es geht um neue Generationen von Hochleistungsrechnern und große digitale und international vernetzte Forschungsinfrastrukturen. Gerade die Grundlagenforschung braucht dringend solche Infrastrukturen, um die Chancen der Digitalisierung nutzen zu können.

Wissenschaft als Beruf ist für viele junge Menschen ein attraktives Ziel. Neben der intellektuellen Herausforderung und der Befriedigung der eigenen Neugier ist das hohe Maß an Eigenverantwortung ein wichtiger Aspekt der Anziehungskraft. Doch Berufe in der Wissenschaft haben auch Schattenseiten, zuvorderst eine lange Phase befristeter Beschäftigungsverhältnisse bei gleichzeitig hohem persönlichen Engagement und hohen Mobilitätsanforderungen. Wissenschaft als Beruf muss aber attraktiv sein. Nur so entscheiden sich die hellsten Köpfe für diesen Beruf! Ich bin froh, dass es gelungen ist, zusammen mit den Ländern ein Tenure-Track-Programm aufzulegen, das nun zeitiger Klarheit über die eigenen Chancen in der Wissenschaft bringt und außerdem 1000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren zwischen 2017 und 2032 entstehen lässt.

Wir setzen uns zudem dafür ein, Frauen in der Wissenschaft weiter zu stärken. Sie sind in der Wissenschaft immer noch unterrepräsentiert, besonders in Führungspositionen. Wir wollen, dass in naher Zukunft mehr Frauen in Entscheidungs- und Gestaltungspositionen der Wissenschaft arbeiten. Voraussetzungen dafür sind insbesondere die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, frühere verlässliche Karriereperspektiven sowie erfolgreich an Hochschulen implementierte Gleichstellungsstrukturen. Durch das Professorinnen-Programm von Bund und Ländern werden Hochschulen mit hohem Gleichstellungsengagement bei der dauerhaften Einrichtung weiblich besetzter Professuren unterstützt, wenn es ihnen gelingt, im Wege der Bestenauslese Wissenschaftlerinnen erstmalig zu berufen.

Besonders am Herzen liegt mir außerdem die Weiterentwicklung des BAföG. Es ist paradox, aber wegen der erfreulich steigenden Einkommen sinkt die Zahl der förderberechtigten jungen Menschen. Aktuell bereiten wir eine BAföG-Reform vor, deren Ziel es ist, wieder mehr junge Menschen in ihrem Studium oder in der Schule zu unterstützen und die Fördersätze an die gestiegenen Bedarfe anzupassen. Im Koalitionsvertrag sind hierfür in dieser Legislaturperiode zusätzliche Mittel in Höhe von einer Milliarde Euro vorgesehen. Bis Jahresende sollen die Eckpunkte der Reform feststehen.

  1. Alle diese Maßnahmen werden dazu beitragen, unsere Position im internationalen Wettbewerb zu stärken. Denn unsere Innovationskraft können wir nur dann steigern, wenn wir exzellente Wissenschaftler und gute Fachkräfte haben, die den Fortschritt forcieren. Und wir werden in Zukunft noch mehr kluge Köpfe brauchen. Deutschland zählt zwar momentan innerhalb Europas zu den Innovationsführern und erreicht auch im weltweiten Vergleich der innovativsten Länder hohe Platzierungen. In Zeiten zunehmenden Wettbewerbs dürfen wir jetzt jedoch nicht nachlassen.

Um unsere Stellung als führender Innovationsstandort zu halten, brauchen wir neben Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und Fachkräften jedoch noch Weiteres:

Zum einen brauchen wir eine hochmoderne technologische Grundlage. Deshalb haben wir uns als Koalition vorgenommen, die Schlüsseltechnologien der Digitalisierung wie Mikroelektronik, Biotechnologie, moderne Kommunikationstechnik, Robotik, Datenwissenschaften, IT-Sicherheit, Quantentechnologien oder künstliche Intelligenz weiter zu stärken.

Zum anderen brauchen wir eine Innovationskultur, die sich durch Mut zum Risiko und breite Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszeichnet. Noch immer bleiben zu viele gute Ideen in den Köpfen unserer Forscherinnen und Forscher oder werden zuerst im Ausland verwertet. Es können daraus viel mehr innovative Produkte und Dienstleistungen werden – und zwar in Deutschland. Ziel ist es daher, einen neuen Aufbruch für eine Wagnis- und Gründerkultur, für offene Innovationen sowie für inter- und transdisziplinäre Ansätze zu entfachen.

Mir geht es um eine offenere Innovationskultur. Was meine ich damit? Sicher nicht, dass wir unseren internationalen Wettbewerbern vorbehaltlos den Zugriff auf unser geistiges Eigentum und Know-how erlauben. Offenheit ohne gegenseitig gesicherte Fairness, ohne „level playing field“, wie es in der internationalen Debatte heißt, ist nicht modern, sondern naiv.

Nein, Offenheit bedeutet, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft Experimentierräume nutzen und dabei neue Akteure bis hin zu späteren Anwendern in den Innovationsprozess integrieren. Damit wollen wir bisher verborgene Innovationspotenziale freisetzen. Offenheit bedeutet auch, dass die Wissenschaft über Open Science- und Open Access-Ansätze Forschungsergebnisse frühzeitig und transparent verfügbar macht. Mehr noch: Dass sie sich schon am Anfang des Forschungsprozesses für Fragen und Ideen der engagierten Bürgergesellschaft öffnet. Eine offene Innovationskultur ermöglicht ganz neue – kreative – Wege der gemeinsamen Ideenfindung und neue Formen, sich Wissen anzueignen.

Mein Haus wird seine Forschungsförderung unter anderem noch stärker auf den Transfer in die Anwendung ausrichten. So planen wir eine neue „Zukunftscluster-Initiative“: Aufbauend auf dem erfolgreichen Spitzencluster-Wettbewerb wollen wir in Innovationsfeldern mit exzellentem Wachstumspotenzial herausragende Cluster fördern. Denn Cluster ermöglichen es, gerade kleine und mittlere Unternehmen besser in das Innovationsgeschehen einzubinden und außerdem neue Fachkräfte zu gewinnen oder im Cluster weiterzubilden.

Denn wir brauchen Innovationen, die das Potenzial haben, neue Märkte zu schaffen. Das geht nur mit Mut zum Risiko. Ich möchte deshalb etwas einführen, das das deutsche Innovationssystem bisher nicht hat: Eine Innovationsagentur für Sprunginnovationen, die staatlich finanziert und mit außergewöhnlichen Freiheitsgraden ausgestattet wird, um Außergewöhnliches zu erreichen. Im Mittelpunkt aller Projekte muss die konkrete Anwendungsfähigkeit für die Menschen stehen – als Verbraucher, Kunden, Patienten.

Mut zur Zukunft durch mehr Fortschritt durch Forschung, so ließe sich mein „Mission Statement“ als Bundesforschungsministerin zusammenfassen. Erreichen will ich dies durch eine solide Finanzierung, gute Rahmenbedingungen für die Wissenschaft, mehr Kommunikation zu Wissenschafts- und Forschungsthemen – Letzteres ist ausdrücklich auch eine Aufforderung an die Wissenschaft selbst – und durch eine bessere Verzahnung von Forschung und Anwendung. Damit Deutschland auch morgen und übermorgen zu den innovativsten Ländern in der Welt zählt.

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