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35 JAHRE MAUERFALL
Zur Kritik politisch korrekter Sprache
(c) Dr. Andrea Linnebach-Wegner
Kolumne

Zur Kritik politisch korrekter Sprache 

Lässt die Einführung politisch korrekter, gendergerechter oder antirassistischer Sprache das Ende sozialer oder ökonomischer Diskriminierung erwarten? Oder erhält hier vielmehr rechtes Identitätsdenken einen linken Anstrich – Getöse um Sprachnormen und Ausheben neuer Gräben statt Einsatz für eine gerechtere Gesellschaft?

Stellen Sie sich vor, Sie werden an einer Straßenbahnhaltestelle von einem Typen in ein Gespräch verwickelt, dessen Aussehen und Verhalten bei Ihnen alle Alarmglocken schrillen lassen: aggressiv, brutal, die ganze negative Macho-Bandbreite, und dann sagt der plötzlich: „Frauen soll man nicht vergewaltigen!“ Oh, denken Sie, man darf doch nicht immer nur nach dem Äußeren urteilen, der Mann hat offenbar ähnliche Werte wie ich … Bis er nachschiebt: „Da kannste dir ’n Tripper holen, und manche Weiber kratzen auch.“ Ende der Gemeinsamkeiten!

Ich habe dieses drastische Beispiel gewählt, um einen wichtigen Unterschied zu verdeutlichen: Die Zustimmung zu einem Werturteil oder zu einer Norm verlangt nicht notwendig, auch mit den für ihre Geltung angeführten Begründungen und Folgerungen einverstanden zu sein.

Diese Feststellung erscheint mir zum Einstieg notwendig, weil ich die Zurückweisung von Frauenfeindlichkeit, Rassismus oder Antisemitismus schon ein Leben lang für selbstverständlich halte. Wegen dieser Selbstverständlichkeit finde ich es peinlich, es ausdrücklich schreiben zu müssen – ähnlich peinlich wie manche Bucheinleitungen: Es würde im Folgenden zwar immer das generische Maskulinum verwendet, aber gemeint seien natürlich alle. Und damit sind wir bereits mitten im Thema.

Werturteile sind logisch und empirisch nicht in derselben Weise begründbar wie Tatsachenbehauptungen; das betrifft auch die Feststellung, dass jede Diskriminierung unangemessen sei. Dafür, dass die Relativitäts- oder die Evolutionstheorie die Wirklichkeit erfolgreich beschreiben, gibt es nachprüfbare Gründe. Bei ethischen Forderungen ist das nicht der Fall. Jemand kann durchaus die Maxime vom Recht des Stärkeren vertreten, und dem lässt sich zwar Kants kategorischer Imperativ entgegenstellen, aber den muss er nicht anerkennen. Doch immerhin lässt sich fordern, dass eine ethische Haltung intern konsistent und widerspruchsfrei ist. (So postuliert etwa Rawls Theorie von Gleichheit und Gerechtigkeit, dass man eine beliebig strukturierte Gesellschaftsordnung als wünschenswert postulieren darf – dass man allerdings keinen Einfluss auf die soziale Rolle hat, in die man dort hineingeboren würde.)

Werte haben also eher den Charakter von Axiomen, von als absolut und gültig anerkannten Grundlagen, die keines Beweises bedürfen, aber meist auch nicht weiter ableitbar sind. So besteht zwar eine breite Einigkeit darüber, dass Diskriminierungen in Form von Frauenfeindlichkeit, Rassismus oder Antisemitismus negativ zu bewerten sind. Aus dieser Einigkeit in der Sache folgt allerdings nicht notwendig eine Einigkeit bezüglich der Begründungen und Folgerungen. Für eine gute Sache können durchaus schlechte Gründe genannt werden und daraus schlecht begründete Konsequenzen abgeleitet werden.

Das möchte ich im Folgenden in Bezug auf politisch korrekte Sprache untersuchen und an einigen Beispielen verdeutlichen, wie die Verlagerung eigentlich gut begründeter Forderungen vom Geltungsbereich gesellschaftlicher Verhältnisse in den Bereich der Sprache zu problematischen Konsequenzen führt. Auch wenn es schwierig ist, Werturteile oder gar ihre Überlegenheit zu begründen, so lassen sich doch einzelne Urteile auf der Basis eines weitgehend geteilten Wertesystems miteinander vergleichen. Was also ist eher abzulehnen: Wenn jemand Forderungen gegen Diskriminierung unterstützt, aber Gender-Sprache zurückweist – oder gendersprachgerechte Stellenanzeigen aufgibt, obwohl von vornherein klar ist, dass sowieso nur Männer eine Chance haben? Wenn der Träger einer Kippa auf der Straße zusammengeschlagen wird – oder wenn eine Israel-Flagge angezündet wird? In antirassistisch-politisch-korrekter Diktion abwertend über Schwarze zu sprechen – oder „korrekte“ Sprachnormen zu kritisieren und überzeugt an Black-Lives-Matter-Demos teilzunehmen?

Sternchen und Heilserwartung

In meinen Büchern und Artikeln schreibe ich seit Jahren etwa von Lesern und Leserinnen; Briefe, Mails und Vorträge beginne ich mit „Sehr geehrte Damen und Herren“. Das scheint nicht weiter erwähnenswert, weil es die Norm ist.

Das „sehr geehrte“ ist ein alter Barock­zopf, eine eigentlich überholte und inhaltsleere Höflichkeitsfloskel, ähnlich wie „Hochwohlgeboren“. Kaum jemandem, den man so anschreibt, bringt man eine wirklich so tiefe Verehrung entgegen (was angemessenen Respekt nicht ausschließt). „Sehr geehrte Frau Müller, hiermit teilen wir Ihnen nach 31 Jahren in unserer Firma Ihre betriebsbedingte Kündigung mit“ ist also ein Widerspruch.

Wichtiger aber ist hier das vertraute „Damen und Herren“. Das vor allem im Zirkus gebräuchliche „hochverehrtes Publikum“ wendet sich an alle. Spreche ich Leserschaft oder Publikum an, interessiert mich vielleicht, wie kompetent sie für das behandelte Thema sind, ob ich also zu viel oder zu wenig voraussetze, ihr Alter und so weiter. Aber ihr Geschlecht? Hat das irgendwelche Auswirkungen darauf, was ich gleich sagen oder schreiben werde?

Als ich zum ersten Mal in den ZDF-Nachrichten das gesprochene Gender-Sternchen (stimmloser glottaler Plosiv) hörte – 
„… ohne dass Mitarbeiter*innen die Möglichkeit haben …“ –, fragte ich mich erst einmal, was denn mit den Mitarbeitern draußen sei? Kürzlich bezeichnete dort ein Sprecher die deutsche Frauen-Fußballmannschaft als Fußballer*innen. Universitäten, Institutionen und Firmen veröffentlichen seitenlange Anleitungen, wie schriftlich und mündlich „korrekt“ mit gendergerechter Sprache umzugehen sei. Korrekt – gemessen woran?

Political correctness war einmal eine gute Idee. Inzwischen metastasieren um den guten Kern Auswüchse, die sehr viele – auch Wohlmeinende – nicht mehr ernst nehmen (Opportunisten gibt’s überall). Das wäre nicht weiter schlimm, würde das damit einhergehende Unverständnis nicht rechten Gegenbewegungen Zulauf verschaffen, die von diesen unterstellte Zensur tatsächlich zunehmend ausgeübt; nicht zufällig heißt eine dieser rechtsextremen Webseiten ­dezidiert „politically incorrect“.

Worum geht es? Um die Beendigung geschlechtsbezogener Diskriminierung, und hier insbesondere um den nachvollzieh­baren Widerwillen, sprachlich oft nur mit-­gemeint zu sein. Die Frage ist, ob die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen geeignet sind. Oft wird das Gender-Sternchen mit so großen Hoffnungen verbunden, als sei es der Stern von Bethlehem, der alle Heilserwartungen in sich birgt, getreu dem Jesus-Wort aus Matthäus 15: „Nicht was zum Mund hineingeht, macht den Menschen unrein; sondern was aus dem Mund herauskommt …“

Wie einst bei weltbewegenden religiösen Fragen, ob etwa das Abendmahlsbrot aus gesäuertem oder ungesäuertem Teig zu backen sei oder der Heilige Geist nur vom Vater oder auch vom Sohn ausgehe, wird heute vehement darum gestritten, ob die Kombination männlich-weiblich-diverser Sprachformen mit Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich, Binnen-I oder Slash – oder gar nicht – zu markieren sei. Allen Direktiven gemeinsam ist, dass sie formal Elemente in Sprache und Schrift zwängen wollen, die zum einen im bisherigen Gebrauch nicht vorgesehen beziehungsweise mitunter sogar eindeutig grammatisch falsch sind, zum anderen Aussagen komplizierter, schwerer verständlich und deutlich länger machen. „… grammatische Regeln mussten immer zurücktreten, wenn es erforderlich schien“, schreibt George Orwell über seine für „1984“ erfundene „Neusprache“; dazu gleich mehr.

„Jede/r ordnungsgemäß gewählte/r Bürger*innenmeister*in oder Landrät*in ist dafür verantwortlich, wenn Mitarbeiter*innen seiner/ihrer Behörde einem/einer Bürger*in in Grundstückseigentümer*innen-Angelegenheiten falsche Auskünfte erteilen.“ Das ist konstruiert, zeigt aber, wie Texte aussähen, würden Gender-Regeln konsequent umgesetzt. Das Folgende dagegen ist nicht konstruiert, sondern ein Zitat von einer Webseite zu feministischem Sprachhandeln: „Dix Studierx hat in xs Vortrag darauf aufmerksam gemacht …“; das wird erläutert mit: „Das ‚x‘ signalisiert ein Durchkreuzen herkömmlicher -> gegenderter Personenvorstellungen.“

Eine verhaltenere Variante der Pluralbildung ist die Ableitung aus dem Partizip Präsens, etwa „Studierende“. Das ist sicherlich praktikabler als das x, aber grammatisch und semantisch unsinnig. „Studierende“ beim Joggen sind kein Beispiel für einen gelungenen Plural, sondern für Multitasking: Studierende sind Personen, die (gerade jetzt) studieren. Wenn sie joggen, studieren sie in aller Regel nicht – so wenig wie Schlafende studieren, eben weil sie gerade schlafen. Außerdem löst das nicht das Problem der Pronomina, etwa „sein“ oder „ihr“. Grammatisch Falsches entsteht ebenso etwa durch „Ärzt*in“ oder „Bäuer*in“, da es keinen Ärzt und Bäuer gibt.

Gender-Sternchen und alle anderen Formen vorgeblich geschlechtergerechter Sprache sind künstliche Konstruktionen, die genauso willkürlich sind wie alles andere in Zeichen- und Symbolsystemen. Dass es keine „natürlichen“ Gründe dafür gibt, warum weibliche Wesen als „Frau“ bezeichnet werden oder das Krokodil Neutrum, der Alligator Maskulinum, und die Panzerechse Femininum ist, lässt sich daran ablesen, dass andere Sprachen andere Formen verwenden. Vertraute sprachliche Bezeichnungen sind ebenso willkürlich und konventionsgebunden wie neue Gender-Formen. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Erstere sind über Jahrhunderte gewachsen und haben sich im Gebrauch gewandelt; es gab selten Personen oder Gruppen, die den Gebrauch unter inquisitorischer Androhung negativer Konsequenzen für Nichtnutzer durchgesetzt haben. Wo es anders war, standen meist totalitäre Regime dahinter.

Ein erhellendes, wenngleich fiktionales Beispiel ist die „Neusprache“ im Roman „1984“, zu der George Orwell in seinem Nachwort schreibt: „Sie hatte nicht nur den Zweck, ein Ausdrucksmittel für die Weltanschauung und die geistige Haltung zu sein, die den Anhängern des Engsoz allein angemessen war, sondern darüberhinaus jede andere Art des Denkens auszuschalten. […] Der Wortschatz B bestand aus Wörtern, die absichtlich zu politischen Zwecken gebildet worden waren, d.h. die nicht nur in jedem Fall auf einen politischen Sinn abzielten, sondern dazu bestimmt waren, den Benutzer des Wortes in die gewünschte Geistesverfassung zu versetzen.“

Entwicklung schließt nicht aus, dass immer wieder versucht wird, durch euphemistische Wortschöpfungen politische, soziale oder ökonomische Prozesse zu beeinflussen (etwa, ganz im Orwellschen Sinne, mit Begriffen wie „Vorwärtsverteidigung“); ebenso gibt es unter Umgehung gewachsenen Gebrauchs Eingriffe wie die teure „Rechtschreibreform“, die trotz Teilrücknahmen letztlich vor allem Unklarheiten und Mehrfachrichtigkeiten erzeugt hat – „dass“ schreiben heute mehr Kinder falsch als vor der Reform.

Auch Gender-Sprache soll durch sozialen Druck erzwungen werden, unabhängig davon, ob sie einmal aus emanzipatorischen Gründen erdacht wurde. Die Zukunft wird zeigen, ob sie sich als neue Norm durchsetzt oder als Modeerscheinung bald ebenso obsolet sein wird wie die längst vergessene Form „man/frau“. Dass Gendern umständlich und lang ist, Sprachentwicklung hingegen eher zu Vereinfachung und Abschleifung neigt, lässt langfristige Chancen ebenso wenig erwarten wie die steigende Mehrheit von Menschen, die sich bei Umfragen dagegen aussprechen.

An allen Formen „gendergerechter“ Sprache ist zu kritisieren, dass sie Menschen auf ein einziges, vorgeblich relevantes Merkmal reduziert: ihr Geschlecht. Jeder Mensch hat kontextabhängig zahllose soziale Zugehörigkeiten, bezogen auf Wohnort, Beruf, Hobbys, Krankheiten, Verwandtschaft, Größe, Haarfarbe, Religion und so weiter. In jedem dieser Zusammenhänge gelten andere sprachliche Zuordnungen: Europäerin, Nichtschwimmer, Geimpfte … Wie eine Zugehörigkeitskennzeichnung ausfällt, hängt vom Kommunikationszusammenhang ab und von der gewünschten Konkretisierung oder Verallgemeinerung. Aber warum sollte ausgerechnet das Geschlecht ein Merkmal sein, das an erster Stelle sprachlich erkennbar sein muss – unabhängig davon, ob es im gemeinten Kontext überhaupt eine Rolle spielt?

Gemäß der Maxime, dass Wertsysteme zumindest intern widerspruchsfrei sein sollten, stellt sich die Frage, wie gleichzeitig eine Sprache gefordert werden kann, die das Geschlecht prominent hervorhebt, während alle anderen sozialen Interaktionen gerade ohne Geschlechtsbezug auskommen sollen (Beispiel: anonyme Stellenbewerbungen).

Diese Eindimensionalität sprachlicher Erkennbarkeit suggeriert zudem eine falsche Einheit aller Frauen; als sei Weiblichkeit eine allem übergeordnete Bindung, als habe die Kassiererin im Supermarkt mehr mit der adligen Managerin eines Großkonzerns gemeinsam als mit dem Lagerarbeiter beim gleichen Discounter. (Bemerkenswerterweise gelten Männer, die sich ausdrücklich als solche definieren, als belächelte Machos.)

„[Frauen] haben doch, ganz anders als früher, alle Rechte. Sie können sich darauf berufen. Sie müssen sie durchsetzen! Es ist mir ganz und gar unbegreiflich, warum sie es nicht tun, Doppelbelastung hin oder her. Die Feministinnen mit ihren gericht­lichen Klagen gegen nackte Frauen auf Titelseiten von Illustrierten – das sind doch Nebenkriegsschauplätze!“ Wer hat’s gesagt? Die Frau, dank derer in unserem Grundgesetz (Art. 3, 2) die Gleichheit von Männern und Frauen festgeschrieben ist; 1948 im Parlamentarischen Rat im Alleingang durchgesetzt von der SPD-Politikerin Elisabeth Selbert – durch eine breite Öffentlichkeitskampagne, gegen die (sehr wenigen) Frauen aus anderen Parteien und zunächst auch gegen ihre eigene. Ein solcher Nebenkriegsschauplatz – Frontabschnitt Wörtersee – ist heute die Gendersprache. Eine Marxistin würde es wohl so ausdrücken: Ablenkendes Getöse beim Streit um Symbole statt Klassenkampf.

Nun verlaufen die Fronten in dieser Auseinandersetzung ja nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern durchaus auch zwischen Feministinnen und Vertretern und Vertreterinnen eines Sprachgebrauchs, der alle möglichen Geschlechtszugehörigkeiten widerspiegeln will und unter Bezeichnungen wie LSBT, LSBTI, LSBTIQ, GSD oder LSBTI*diskutiert wird, also Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen umfasst. (Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang übrigens am Rande, mit welch schamloser Selbstverständlichkeit homosexuelle Rechte und Konservative, deren Parteien bis vor Kurzem alles Gleichgeschlechtliche mit Strafandrohung und medizinischer Sonderbehandlung eliminieren wollten, für sich selbst die von links erkämpfte Gleichstellung in Anspruch nehmen. Das passt zu Forderungen nach Law and Order – aber nur so lange, siehe Corona, wie es den eigenen Zielen dient.)

Auch zu solchen Abkürzungen – zu PoC kommen wir später –, äußert sich Orwell bei seiner Beschreibung der 1984er Neusprache: „Manche B-Wörter hatten eine höchst differenzierte Bedeutung, die jemandem, der nicht mit der Sprache vertraut war, kaum verständlich wurde.“

So gut und richtig es nun ist, dass Barrieren für Menschen fallen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen, und Diskriminierungen offengelegt und kritisiert werden, so angemessen ist allerdings auch die Frage, wie viele Menschen davon überhaupt betroffen sind. Die allermeisten Schwulen und Lesben haben ja durchaus eine eindeutige Geschlechtsidentität. Die letzte veröffentlichte Zahl Diverser für Deutschland ist 20. Das würde bedeuten, dass statistisch jeder viermillionste Mensch divers ist. Selbst bei der Annahme, dass die Anzahl um den Faktor 100 größer wäre, wäre das eine Person unter 40.000.

Dieses Zahlenverhältnis schmälert zwar keineswegs die Rechte Diverser, lässt aber Forderungen von Queer-Denkern nach gleichberechtigter Erkennbarkeit im Sprachgebrauch unter rein quantitativen Aspekten fragwürdig erscheinen (vom Einrichten eigener Toiletten in Restaurants, Firmen und Behörden ganz abgesehen; die könnte die Bisphenol-A-produzierende Chemieindus­trie finanzieren). Gehen wir einmal davon aus, die Forderung sei gerechtfertigt und betrachten die Konsequenzen. Die Grundlage politisch korrekter Argumentation wäre hier der Anspruch auf uneingeschränkte Gleichheit und Gleichbehandlung. Das hätte allerdings zur Folge, dass auch jede andere Gruppe vergleichbarer Größe das Recht hätte, Sprachformen zu bestimmen, die sie in irgendeiner Weise betreffen. Da es nur um Gleichheit gehen kann und nicht um weit schwieriger definierbare höhere Werte, müsste nach dieser Logik etwa sogenannten „Reichsbürgern“ (deren Anzahl mit rund 19.000 etwa das Zehnfache der Diversen beträgt) das Recht eingeräumt werden, ihre Vorstellungen von der Legitimität der Bundesrepublik Deutschland in den allgemeinen Sprachgebrauch einzubringen. Ist das eine wünschenswerte Perspektive?

Es ist also nicht einfach, über die nachvollziehbare Abneigung gegen ständiges Mit-gemeint-sein hinaus, Argumente für eine „gendergerechte“ Sprache zu finden, während sehr viel dagegenspricht. Selbst wenn aus den genannten quantitativen Gründen der Einbezug Diverser ausgeklammert würde, blieben Verdoppelungen wie „Leserinnen und Leser“, die sich auch auf Pronomina und Adjektive auswirken, künstliche Pluralformen und anderes mehr. Selbst wenn der Gebrauch auf reine Verwaltungsvorgänge beschränkt bliebe, bei denen ausdrücklich „alle gemeint“ sein sollen, entstünden Monstersätze wie der oben konstruierte mit „Bürger*innenmeister*innen“.

Blickt man über Formulare für Einwohnermeldeämter und dergleichen hinaus in den Bereich „professioneller Sprache“ in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und anderen Medien, kommen zu den aufgeführten Gegenargumenten noch etliche hinzu: Unsinnige grammatische Konstruktionen wurden bereits erwähnt, ebenso semantisch falsche wie „Studierende“ (die bisher zu Anmerkungskürzeln wegen miserablen Stils geführt hätten). Texte würden länger, schwerer les- und verstehbar, holpriger.

Ebenso bedenklich wäre, bei konsequenter Anwendung, die Frage nicht nur der sprachlichen Ausgestaltung von aktuellen Texten aller Art, sondern auch die der Neuauflagen von Büchern, insbesondere belletristischer. Hinreichend schlechte und teure Erfahrungen haben wir damit ja bereits nach den Rechtschreibreformen machen müssen. Nun sollte man nicht spöttisch, wie ein deutscher Professor das kürzlich getan hat, als abschreckendes Beispiel Schillers „Bürgschaft“ umformulieren: „Zu Dionys, dem*r Tyrann*in, schlich Möros, den Dolch im Gewande; Ihn schlugen die Häscher*innen in Bande …“ Denn auch politisch korrekt formuliert bleiben Dionysos und seine Häscher Männer. Bei seiner „Ode an die Freude“ dagegen wäre es klarer: „Freude, schöner Gött*innenfunken / Tochter/Sohn aus Elysium, / Wir betreten feuertrunken / Himmlische*r, dein Heiligtum. / Deine Zauber binden wieder, / Was der Mode Schwert geteilt; / Bettler*innen werden Fürstenbrüder/-schwestern/divers, / Wo dein sanfter Flügel weilt.“ Möchte man einen solchen Text lesen? Immerhin gab es noch keine öffentlichen Bücherverbrennungen.

Da nun alle Sprach- und Zeichensysteme ohnehin willkürlich sind, muss man, um sich klar und alle meinend auszudrücken, keine neuen Sprachkonventionen erfinden, sondern könnte einfach das Bisherige beibehalten und sich darüber einigen, dass diese Form das zwar nicht völlig befriedigend, es aber immer noch am besten, einfachsten und kürzesten leistet. Vielleicht ließe sich, wenn schon an der Sprache herumgeschraubt wird, das „generische Maskulinum“ einfach in „Generikum“ umbenennen, damit leichter nachvollziehbar wird, dass es mit sexuellem Geschlecht nichts zu tun hat.

Nur die eindimensionale Festlegung auf das Geschlecht rechtfertigt die Kritik am Mit-gemeint-sein: Allgemeiner betrachtet betrifft das jeden: Auch bei „meine sehr geehrten Damen und Herren“ bin ich nur einer unter vielen Angesprochenen. (Und genüge nicht dem prototypischen „Herrn“, ich besitze nicht mal einen Schlips.)

Das Argument schließlich, gegenderte Sprachformen böten einen erfolgversprechenden Einstieg in eine Gesellschaft, in der Frauen nicht nur gleichberechtigt benannt, sondern auch behandelt werden, müsste nicht nur die ausbleibenden Wirkungen von Wörtern wie „die Führungskraft“ erklären, sondern vor allem – aber das wäre ein ­eigenes linguistisches Thema –, wie denn die Rolle von Frauen in Gesellschaften wie etwa der türkischen zu verstehen ist, deren Sprache gar keine Genus-Klassifizierungen kennt und in der Wörter daher grammatisch ohne Geschlechtsbezug auskommen. Traditionell türkische Familienstrukturen gehören wohl eher nicht zu emanzipatorischen Idealkonstruktionen.

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