Seit Juli 2022 ist Gudrun Engel Korrespondentin in Washington, D.C. und Leiterin des dortigen ARD-Studios. Im US-Wahlkampf 2024 ist sie mit ihrem Team für Reportagen durch in die Swing States gereist und hat mit Trump-Wählern und Menschen gesprochen, die die Demokraten gewählt haben. Ν hat Gudrun Engel in Washington für ein persönliches Interview getroffen. Im Gespräch ging es unter anderem um das politische Klima in den USA, die Midterms 2026 und um die Situation von Journalisten, Medienunternehmen und Universitäten.
? Im Jahr 2022 begann Ihre Korrespondententätigkeit in Washington, D.C. Zu dieser Zeit war Joe Biden noch Präsident der Vereinigten Staaten. Wie haben Sie das politische Klima in den USA damals erlebt?
! Vor drei Jahren war alles deutlich langsamer, deutlich planbarer, aber das politische Klima war sehr aufgeheizt. In Washington bewegt man sich auch immer in Blasen, das darf man nicht vergessen. Ich habe das Klima damals fast ein bisschen aufgeheizter und aggressiver erlebt, als es jetzt ist. Präsident Joe Biden war noch im Amt, aber die Republikaner und die MAGA-Bewegung waren schon dabei aufzurüsten und für den Wahlkampf Schwung zu nehmen, um sich für die in ihren Augen gestohlene Wahl 2020 zu rächen. Es war von deren Seite sehr provokativ, sehr aggressiv – und auf der Seite der demokratischen Partei gab es immer den Versuch, dem etwas entgegenzusetzen. Wenn wir über die Frage der Spaltung der Gesellschaft reden, habe ich sie damals in meiner Wahrnehmung heftiger gespürt, als ich sie jetzt wahrnehme, denn Donald Trump hat gewonnen, und jetzt sind sie mehr oder weniger befriedet. Zudem ist eine Gegenwehr auf der Seite der Demokraten nicht mehr spürbar. Da ist sehr viel Resignation, da ist vielleicht auch sehr viel Zurückhaltung und Angst. Also die Spaltung war für mich spürbarer damals.
Reportagen in den Swing States
? Während des Wahlkampfs gab es von Ihnen viele Reportagen aus ländlich geprägten US-Staaten. Dort gibt es besonders viele Trump-Wähler. In welchen Staaten waren Sie unterwegs, und welche Gründe nannten Ihnen potenzielle Trump-Wähler für Ihre Entscheidung, ihm die Stimme zu geben?
! Vor der US-Wahl habe ich eine Vorwahlserie für die Tagesthemen gedreht. Wir waren in North Carolina, in Pennsylvania, in Georgia, und wir waren in Arizona, also in einigen Swing States unterwegs.
Wir wollten uns klassische demokratische Milieus und besondere migrantische Gruppen ansehen, weil wir da die größte Pendelbewegung gesehen haben. Unter anderem bei den Latinos in Arizona oder der Schwarzen Bevölkerung in Georgia. Das war für uns der Grund, im Vorfeld dort überall hinzufahren – und ganz bewusst aufs Land.
Überall, wo es früher ganz klassisch demokratische Wählergruppen gab, gab es den größten Wechsel. Am Ende hat Donald Trump in allen sieben Swing States gewonnen. Die Herausforderung für mich ist immer, dass ich mich frage: Was treibt die Amerikaner an? Wobei „die Amerikaner“ ist schwer zu sagen, es sind ja 334 Millionen.
? Und warum wollten so viele Donald Trump als Präsidenten?
! Weil sie eine Veränderung wollten. Auch mit den Einschränkungen: Trump ist zu krass drauf oder der benimmt sich nicht so, wie ich es mir vorstelle, oder Trump redet zu krass oder sagt Sachen, die man so nicht sagen sollte. Diese Zweifel waren schon da bei den Menschen, aber am Ende wollten viele Wähler eine Veränderung. An die glaubten sie unter einem Präsidenten Joe Biden nicht mehr. Und einer Kamala Harris trauten sie sie nicht zu.
Europäischer Blick auf die USA
? Die Europäer und die Deutschen haben die US-Wahl täglich verfolgt und Ihre und andere Berichte gesehen – und sie waren fassungslos, dass Donald Trump die Wahl so haushoch gewonnen hatte. Hat Europa einen falschen Blick auf die USA?
! Wir Deutsche oder Europäer glauben immer, wir kennen Amerika. Während der US-Wahl gab es Millionen USA-Kenner, und ich habe manchmal den Eindruck, jeder, der schon mal einen Hamburger gegessen, Taylor Swift im Radio gehört oder George Clooney im Kino gesehen hat, denkt, er kenne die USA. Aber dem ist nicht so! Wir sehen ähnlich aus, wir hören die gleiche Musik und wir schauen die gleichen Filme, aber wir haben kulturell eine ganz andere Basis.
Während sich die Europäer nach den Kriegen, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, darum gekümmert haben, Struktur und Sicherheit zu bekommen, sind die Amerikaner von ihrer Prägung immer noch die großen Abenteurer, die irgendwann in dieses Land kamen, vier Steine auf den Boden legten und sagten: Das ist jetzt mein Claim, wer hier draufkommt, den schieße ich mit meiner Flinte vom Acker! Das Recht, eine Waffe zu tragen gehört dazu. In den USA ging es immer um persönliche Unabhängigkeit und um Freiheit. Europa will Struktur und Sicherheit – Amerika will Aufbruch, Abenteuer und Autonomie – es sind zwei sehr unterschiedliche Lebensphilosophien und Richtungen.
Begegnungen mit republikanischen Wählern
? Sind Sie bei Ihren Reportagen im Land schnell mit den republikanischen Wählern ins Gespräch gekommen oder gab es Ablehnung?
! Die meisten Menschen sind offen und oft sehr herzlich – und auch mit Trump-Wählern kommt man schnell und unkompliziert ins Gespräch, auch beim Parteitag der Republikaner. Die krassen, radikalen Trump-Anhänger gab es natürlich auch – zum Beispiel beim Sturm aufs Kapitol –, aber mit der Mehrheit der Menschen, mit denen wir gesprochen und die Trump gewählt haben, konnten wir problemlos sprechen, ohne dass sie aggressiv waren.
? Im vorigen September vor der Wahl waren wir vom Ν-Magazin in Tucson/Arizona unterwegs und haben dort den Wahlkampf erlebt. Trump sprach an einem Tag in der Music Hall und dort waren nicht nur tausende Trump-Anhänger vor Ort, es gab auch Stände mit der Aufschrift „Black Women for Trump“ und „Latinos for Trump“. Da haben wir uns schon gefragt, was diese Menschen antreibt, denn im Ernstfall könnten sie abgeschoben werden …
! Auch ich habe in Arizona mit den „Latinos for Trump“ gesprochen und sie gefragt, warum sie die Grenze dichtmachen wollen, nach dem Motto „Das Boot ist voll“. Es könnte sein, dass sie im Zweifel die sind, die vom ICE rausgeworfen werden. Aber das trennen die Trump-Anhänger komplett von der eigenen Geschichte.
? Mit welchen Argumenten?
! Sie argumentieren: Wir sind zwar Latinos, aber wir sind auf legalem Wege in die USA gekommen und gecheckt worden, und alle, die jetzt kommen, sind Kriminelle. Sie benutzen exakt das Narrativ und das Framing, das Donald Trump vorgegeben hat – und zwar völlig unhinterfragt. Sie gehen nicht davon aus, dass es sie irgendwann treffen könnte. Mittlerweile gibt es aber Fälle, dass ein Gärtner oder wer auch immer abgeschoben wird und die ganze Familie entsetzt sagt: „Wir haben doch alle für Trump gestimmt. Der hat doch immer gesagt, er schickt die anderen zurück, wieso nimmt er denn jetzt uns?“ Dann ist das Entsetzen groß. Ich glaube aber, sie realisieren es noch nicht in dem Maße, dass sich etwas verändert.
Das gesamte Interview lesen Sie in der Ausgabe „USA: Wenn nichts ist mehr sicher ist“
Bettina Schellong-Lammel
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