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35 JAHRE MAUERFALL
Drei Fotografen fotografieren ein Dorf
Foto © Bernd Lammel
35 Jahre Mauerfall

Drei Fotografen fotografieren ein Dorf 

„70 Jahre Dorfleben in Bildern, 70 Jahre von drei Fotografen, ein Dorf“, so steht es im Klappentext. Es geht um Berka, ein Dorf in Thüringen, um den Müller Ludwig Schirmer, der als Amateurfotograf das Dorfleben in den 1950er- und 1960er-Jahren in Schwarz-Weiß-Fotos eingefangen hat und der später ein bedeutender Werbefotograf in Berlin wurde. Es geht um seine Tochter Ute Mahler und ihren Mann Werner Mahler, beide Fotografen, die Berka ebenfalls fotografiert haben. All diese Bilder sind in einem Fotoband vereint. Sie zeigen das Dorfleben aus einem Land, das es nicht mehr gibt, wie Jenny Erpenbeck es in einem Text im Buch formuliert hat. Ν hat im 35. Jahr des Mauerfalls mit Ute und Werner Mahler über dieses außergewöhnliche Buchprojekt gesprochen, in dem auch Ludwig Schirmers Fotos zu sehen sind, die beide als fotografischen Schatz bezeichnen. 

 

 

 

? Ute Mahler, wie war Ihre Kindheit und Jugend, als Thüringen zur DDR gehörte? Und wie haben Sie Ihren Vater erlebt? 

! Ute Mahler: Ich wurde 1949 in der Mühle in Berka, Thüringen, geboren, in der mein Vater als Müller arbeitete. Es war nicht sein Traumberuf, aber er musste die Mühle aus familiären Gründen übernehmen. Der Müller, den es dort gab, war verunglückt, und da es ein Familienbetrieb war, musste mein Vater als der übriggebliebene Sohn die Mühle weiterführen.

Ich erinnere mich, dass mein Vater meist einen grauen Anzug trug und eine ebenso graue Kappe auf dem Kopf hatte, die mit Mehl bestäubt war. So arbeitete er in der Mühle.

Manchmal sah ich ihn in diesem Müller­anzug mit einem Fotoapparat durchs Dorf laufen. Für mich war das kein Widerspruch. Einerseits war er der Mann, der das Mehl gemahlen hat, andererseits war er am Wochenende oder zum Feierabend mit einer
Kamera unterwegs, um Menschen, Familien, Feste und Freunde zu fotografieren.

Er hat auch kleine Jobs übernommen. Wenn zum Beispiel silberne oder goldene Hochzeiten gefeiert wurden, hat Ludwig die Fotos gemacht. Für mich war mein Vater zwei Personen: der Müller und der Fotograf. Soweit ich mich erinnere, habe ich mit meinem Vater aber damals nie über seine Leidenschaft für die Fotografie gesprochen.

? Sie sind heute und waren schon in der DDR eine bekannte und renommierte Fotografin. Wann hatten Sie Ihre erste eigene Kamera? 

! Ute Mahler: Mit zwölf Jahren habe ich die ersten Bilder gemacht. Aber nicht mit einer eigenen Kamera, sondern mit der meines Vaters, die er mir überlassen hat.

? Er wollte, dass Sie fotografieren? 

! Ute Mahler: Ja, er wollte, dass ich lerne, mit einer Kamera umzugehen.

? Wann entschied Ihr Vater, mit der Familie von Berka nach Berlin umzuziehen?

! Ute Mahler: Mein Vater wollte unbedingt in Berlin Werbefotograf werden und den Müllerberuf aufgeben. Um in Berlin Fuß zu fassen, hat er den Wechsel ab 1961 ganz systematisch geplant. Er war bereits Ende der 1950er-Jahre Mitglied im Journalistenverband in Erfurt geworden und hatte eine Steuernummer. In Berlin lernte er ein Grafiker-Kollektiv kennen, das für Messen gearbeitet hat, und die fanden seine Fotos erfrischend, neu, anders.
Er ist dann jede Woche nach Berlin gefahren und nur am Wochenende nach Berka gekommen. 1964 wurde entschieden, nach Oranienburg bei Berlin umzuziehen. Da war ich 14 Jahre alt.

? Mit 14 Jahren hat man Freunde, und Sie mussten umziehen, weil Ihr Vater Fotograf sein wollte. War dieser Umzug für Sie ein großer Schritt?

Ute Mahler: Unbedingt. Ich wollte nicht weg aus Thüringen, wollte meine Freunde und das Dorf nicht verlassen und auch nicht die Landschaft, die ich über alles geliebt habe. Natürlich hatte ich auch Angst vor diesem neuen Leben. Ich war beim Umzug in der achten Klasse und ich kam im September in Oranienburg in die neunte. Damals war mir das nicht so bewusst, aber heute ist mir klar: Mit dem Umzug aus dem Dorf endete meine schöne Kindheit. Als ich das Archiv meines Vaters übernommen und aufgearbeitet habe, fand ich unendlich viele Kinderbilder von mir. Ich glaube, wenige Kinder wurden damals so oft fotografiert wie ich.

? In Oranienburg am Gymnasium lernten Sie Werner kennen?

! Ute Mahler: Ja, er saß zwei Bänke vor mir, und es ging ziemlich schnell, dass ich mir in Oranienburg einen neuen Freundeskreis aufbauen konnte.

? Sie haben damals schon aktiv fotografiert? 

! Ute Mahler: In Oranienburg habe ich schon aktiv und ganz bewusst eine Kamera in die Hand genommen und Bilder gemacht, die ich auch immer selbst vergrößert habe.

? Ihr Vater hat Ihnen damals gezeigt, wie Fotos im Labor vergrößert werden? 

! Ute Mahler: Ja. Es waren anfangs unendlich graue Bilder, aber ich habe sie geliebt, denn es waren meine ersten eigenen Vergrößerungen.

? Wollte Ihr Vater von Anfang an, dass Sie Fotografin werden?

! Ute Mahler: Für meinen Vater war das keine Frage. Er wollte es und war überzeugt, dass ich Fotografin werde.

? Nach dem Abitur sind Sie zum Studium nach Leipzig gegangen, um Fotografie zu studieren. 

! Ute Mahler: Ja, aber ich musste warten, denn Fotografie war in Leipzig ein sehr begehrtes Studienfach, und es gab nur wenige Plätze. Man musste eine Aufnahmeprüfung machen und Bilder einreichen. Meine Fotos waren offensichtlich gut, aber ich musste noch technische Dinge lernen, denn die Voraussetzung für das Studium in Leipzig war, dass man die Kenntnisse eines Facharbeiters hat. Das hieß, dass man in Leipzig gar nicht mehr über technische Dinge reden wollte, sondern nur noch über inhaltlich-ästhetische.

? Sie waren mit Werner befreundet und sind zum Fotografie-Studium nach Leipzig gegangen. Werner wurde Assistent Ihres Vaters, der inzwischen ein sehr gefragter und erfolgreicher Werbefotograf in Berlin war. Wie kam es dazu? 

! Ute Mahler: In der elften Klasse mussten wir uns für ein Studium entscheiden.
Ich bewarb mich in Leipzig für Fotografie, und Werner, der Naturwissenschaft liebte, begann, Verfahrenstechnik in Merseburg zu studieren. Dann gab es ein Schlüsselerlebnis: Werner fotografierte inzwischen ebenfalls und hatte eine Fotoserie bei einem Fotowettbewerb der Zeitschrift Für Dich eingereicht. Er belegte den ersten Platz und erhielt 500 Ostmark, was sehr viel Geld war. Ich war beeindruckt und fragte Werner, ob Fotografie nicht auch ein Beruf für ihn wäre. Da er aber bereits mit dem Studium in Merseburg begonnen hatte, waren die Hürden für einen Wechsel hoch. Denn wer einen Studienplatz hatte, konnte nicht einfach aufhören und ein anderes Studium beginnen.

! Werner Mahler: Ich habe dem Prorektor für Erziehung und Ausbildung damals gesagt, ich möchte auf eigenen Antrag exmatrikuliert werden. Er sagte: „Wir haben jetzt 13 Jahre in Sie investiert, also 12 Jahre bis zum Abitur und jetzt ein Jahr hier an der Uni. Sie machen das Studium zu Ende, dann können Sie immer noch überlegen, etwas anderes zu machen.“

? Das hat aber nicht geklappt …

[…]

Lesen Sie das ganze Interview in der aktuellen Ausgabe.

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