Eine kurze Geschichte über die „Blütezeit“ des Radios
Henri Nannen schreibt man den Satz „Vor dem Rundfunk gab es den Mundfunk“ zu. Was wohl soviel heißen soll, wie „Glaube nicht alles, was du hörst“. Tatsächlich erlebte das Radio kurz nach seiner „Geburt“ seine erste Instrumentalisierung zur Verbreitung von Nazipropaganda. Nach dem Krieg dann blühte es zum zweiten Mal auf. Eine Reise durch Jahrzehnte der Geschichte.
Hallo, hallo! Hier Radio! / Das macht die Menschen lebensfroh. / Von früh bis spät brennt lichterloh / In Leid und Schmerz mein junges Herz fürs Radio.“ Die sich so nachdrücklich Gehör verschaffenden Zeilen bilden den Auftakt des sogenannten Norag-Marsches in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Die Werbeplatte für die Nordische Rundfunk AG (Norag) in Hamburg wurde von vielen populären Schlagern rund ums Radio begleitet: „Die schöne Adrienne hat eine Hochantenne“, „Ich sitz‘ den ganzen Tag an meinem Radio“, „Bubi, ich habe eine Radiostation“ formulierten eine klare Liebeserklärung an das junge Medium. Radiohören versprach Unterhaltung, Freude und Geselligkeit.
Das Radio faszinierte. Dabei trat das neue Medium seinen Siegeszug in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise und der gesellschaftlichen Instabilität in Deutschland an. Im Oktober 1923 wurde mit der „Berliner Funkstunde“ das erste regelmäßige Radioprogramm ausgestrahlt, in den Monaten darauf folgten Aktiengesellschaften in mehreren deutschen Städten mit ihren „Rundfunkdarbietungen“. Der organisatorische Aufbau, der dies möglich machte, war komplex: Auf der einen Seite waren es Unternehmer, die das Startkapital aufbrachten und sich vom neuen Medium einen wirtschaftlichen Profit erwarteten. Darunter konnten Vertreter der Schallplattenindustrie, der Verlage und der technischen Industrie sein, aber auch fachfremde Aktionäre, die investitionsfreudig waren. Auf der anderen Seite hatte der Staat von Anfang an ein wachsames Auge auf ein Medium, das auf der Funktechnik beruhte und damit sein Hoheitsrecht betraf.
Der Rundfunk wurde in Deutschland von Anfang an dezentral organisiert. Radio, so die Überzeugung, war eine Sache der Länder. In den Aufsichtsgremien der Rundfunk-AGs zwischen Hamburg und München, zwischen Breslau und Köln saßen politische Vertreter der jeweiligen Länder und Provinzen in der Weimarer Republik. Aber auch die Zentralregierung übte erheblichen Einfluss über ihr Reichspostministerium aus. Ein glücklicher Umstand für die Radiogeschichte war 1919 die Berufung von Hans Bredow zum Ministerialdirektor und Staatssekretär im Reichspostministerium. Der ehemalige Direktor der Telefunken-Gesellschaft, einer Tochter von AEG und Siemens, brachte Erfahrungen auf dem Gebiet des Funkverkehrs und der drahtlosen Telegrafie mit. Bredow setzte sich aber auch in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der zentralen Reichs-Rundfunk-Gesellschaft für den Rundfunk als ein Kulturinstrument und als ein Mittel der Volksbildung ein. Rundfunk sollte der Öffentlichkeit dienen und zuallererst die gesellschaftliche Integration verfolgen.
Die wirtschaftlich geführten und politisch kontrollierten Sendegesellschaften hatten in ihren ersten Sendetagen nur wenige Hörerinnen und Hörer. Doch dies änderte sich rasant. Die zahlende Zuhörerschaft stieg, wie die amtlichen Zahlen der Rundfunkteilnehmer beweisen, denn für das Aufstellen eines Empfangsgerätes musste man bei der Post eine Lizenz erwerben und eine monatliche Gebühr entrichten. Auch die Zahl der sogenannten Schwarzhörer kletterte in die Höhe. Wirtschaftlich schwächere Bevölkerungsgruppen konnten die Rundfunkgebühr nicht aufbringen. Ihre Radiogeräte – zunächst Detektorgeräte, später einfache Röhrengeräte – bastelten sie sich mitunter selbst zusammen. Radiohören wurde populär, das attraktive akustische Medium eroberte sich seinen festen Platz im Repertoire der Mediennutzung, vor allem im häuslichen Bereich.
Die Erfolgsgeschichte des jungen Radios hielt vor allem bis 1929/30 an. Sie setzte sich zwar auch danach noch fort, allerdings hatten Rundfunkmacher und Publikum mit den großen ökonomischen Problemen der zu Ende gehenden Weimarer Republik zu kämpfen – und das immer wichtiger werdende Medium wurde im Widerstreit der Politik zunehmend verstaatlicht und zentral organisiert. Mit einer großen Rundfunkreform Mitte 1932 war der Einfluss der Geschäftsleute endgültig ad acta gelegt und die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft zum entscheidenden Machtapparat geworden. Ein unglücklicher Zeitpunkt, wie sich alsbald herausstellte. Denn mit dem Machtantritt der NSDAP in den ersten Monaten des Jahres 1933 fiel dieses Instrument den nationalsozialistischen Politikern gleichsam in den Schoß.
(…)
von Hans-Ulrich Wagner
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