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UTOPIE Verkehrswende
Channel-Manager-Florian Hager: Ard-Mediathek gegen Netflix Amazon und Co.
© ARD/ANKE KRISTINA SCHAEFER
Fernsehen

Channel-Manager-Florian Hager: Ard-Mediathek gegen Netflix Amazon und Co. 

Florian Hager ist Channel-Manager der ARD-Mediathek. Zuvor war er Chef des Online-Netzwerks funk, dem Jugendangebot von ARD und ZDF. funk wurde zur Erfolgsgeschichte und Hager zum Hoffnungsträger, der die ARD fit für die Zukunft machen kann. Diese Zukunft begann für Hager 2020, als er Channel-Manager für die ARD-Mediathek und stellvertretender Programmdirektor des Ersten wurde. Eine steile Karriere, aber auch ein anspruchsvoller Job – denn die Erwartungen sind groß und die Konkurrenz von Netflix, Amazon Prime und Co gewaltig. Νhat mit Florian Hager über die Herausforderung gesprochen, wie er die ARD-Mediathek in die Zukunft führen will, warum er einige Denker und Macher von funk für die Mediathek begeistern konnte und warum er vom Netzwerkgedanken überzeugt ist, mit dem er schon bei funk erfolgreich war.

? Sie waren als Chef von funk, dem gemeinsamen Jugendangebot von ARD und ZDF, sehr erfolgreich, obwohl funk mit einer vergleichsweise geringen finanziellen Ausstattung auskommen musste. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt, funk zu übernehmen und danach nahtlos Channel-Manager der ARD-Mediathek zu werden? Da ist ja die Bandbreite schon sehr unterschiedlich.

! Mich reizte die Fallhöhe, die damit verbunden war. Bei funk hatte ich die Aufgabe, für ARD und ZDF ein Angebot für 14- bis 29-Jährige zu machen. Damals sagten viele: So etwas klappt nie im Leben! Das ist ja in etwa so, wie ein Altersheim an eine Disko anzuschließen, um die Enkel anzulocken. Aber gerade das war es, was mich am Projekt funk gereizt hat.

? Und der Erfolg hat Ihnen recht ge­geben …

! Auf jeden Fall. funk ist nicht nur enorm erfolgreich, es ist auch inhaltlich anspruchsvoll.

? Wann sind Sie vor einem Jahr aus funk quasi „herausgewachsen“, und es reizte Sie die ARD-Mediathek?

! Richtig, denn ich bin jetzt Teil der mittleren Zielgruppe der 30- bis 49-Jährigen, deren Mediennutzung inzwischen auch immer stärker von Streaming-Plattformen geprägt ist. Ich bin davon überzeugt, und das ist mein Anspruch, dass es die ARD schaffen kann, ein eigenes Angebot komplementär aufzubauen – also nicht nur als „Sendung verpasst“-Funktion von dem, was im Linearen läuft, sondern wirklich als eigenständiges Programm.

? Sie sagten gerade, dass die Nutzer Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon und Co richtig klasse finden. Die sind der ARD allerdings einen großen Schritt voraus, denn sie bieten an, was die Zuschauer bei den Öffentlich-Rechtlichen vermissen, und die Nutzer zahlen dafür.

! Wir sind ja nicht in Konkurrenz um das Geschäftsmodell der Streaming-Plattformen, wir müssen auch keine Abos verkaufen. Aber wir müssen ein inhaltliches Angebot für eine Zielgruppe machen, die über Amazon und Netflix ihren Medienkonsum sozialisiert hat. Das ist das Setting. Mir ist klar, die Fallhöhe ist enorm, aber es ist die Zukunft der ARD, die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen.

? Das klingt, als würde die ARD-Mediathek künftig kein reines Archiv mehr sein und das lineare Fernsehen würde zweitrangig. Ein Paradigmenwechsel?

! Das würde ich komplett so unterschreiben. Ich bin nicht angetreten, um zu sagen: Die ARD ruft das Ende der Linearität aus. Ich bin überzeugt, das Lineare wird es weiter geben. Ich weiß, dazu gibt es unterschiedliche Diskussionen …

? Was sagen Sie den „linearen Menschen“ in der Diskussion?

! Im Moment profitieren wir von beidem. Aktuell ist die Mediathek eher ein Instrument mit Verpasst-Funktion. Da gehen Menschen rein, die im Linearen was verpasst haben.

? Genau das wollen Sie ändern?

! Richtig. Wir wollen diese Nutzungsform um ein eigenständiges Programmangebot erweitern. Unser Vorteil ist die Verbindung von beidem. Wenn wir es schaffen, Highlights sowohl erfolgreich linear anzubieten und nonlinear andere Zielgruppen zu erreichen, wäre das ein positiver Anfang. Gute Beispiele, dass wir auf dem richtigen Weg sind, sind die Serien „Die Toten von Marnow“ oder „Das Geheimnis des Totenwalds“. Dort haben wir nachweislich non-linear ein anderes Zielpublikum erreicht als linear. Ich weiß, es kling etwas unbescheiden, aber bei solchen Projekten haben wir gegenüber Netflix und Amazon ganz andere Chancen, ein viel breiteres Publikum zu erreichen. Das hat Auswirkungen auf das Lineare und wird es auf jeden Fall verändern.

? Die ARD-Mediathek zukunftsfähig zu machen, ist sicher auch deshalb schwierig, weil ein schwerfälliges, föderales System, in dem Sie sich bewegen müssen, einer schnellen Umsetzung im Weg steht. Ist es eines ihrer größten Probleme, diese verschiedenen Sendeanstalten der ARD zusammenzuführen?

! Aus meiner Sicht bietet die dezentrale Aufstellung der ARD eine große Chance, wenn wir es als Chance begreifen. Es ist sogar ideal für eine dezentrale Internetwelt, wo einfach nichts zentral ist. Wir können näher dran und viel schneller sein, denn wir haben viele Zulieferer. Wir sind nicht nur eine Archiv- und Fiktionsplattform, sondern auch eine Plattform für Dokumentationen, die uns extrem wichtig sind. Hinzu kommt der aktuelle Bezug, denn auch Informa­tionsinhalte sind ein wichtiger Bestandteil der Mediathek. Aktuelle Ereignisse findet man in der ARD-Mediathek, aber nicht bei Netflix oder Amazon, was ein großer Vorteil ist. Ich bin vom Netzwerkgedanken überzeugt. Damit waren wir auch schon bei funk erfolgreich. Wenn wir es schaffen, in diesem dezentralen System eine klare Rollenverteilung zu ermöglichen, dann sind wir viel schneller als andere.

? Klingt im Moment allerdings noch nach Zukunft …

! Ja gebe ich Ihnen recht, im Moment spreche ich von der Zukunft. Momentan ist die Struktur noch schwierig. Deshalb ist das ZDF an vielen Stellen auch besser aufgestellt als die ARD-Mediathek.

? Das liegt woran?

! Wir haben in der ARD ganz andere Abstimmungsschleifen. Aber nach meinem ersten Jahr kann ich klar sagen, wir haben es geschafft, dass alle mit an Bord sind.

? Nach Ihrem ersten Jahr, in dem Sie sich erstmal in die neue Herausforderung hineindenken mussten, stellt sich die Frage: Welches Zeitfenster haben Sie sich gemeinsam mit der ARD gesetzt, die ARD-Mediathek zukunftsfähig zu machen?

! Am 1. Mai wird Christine Strobl in der Programmdirektion in München meine neue Chefin. Dann gilt nicht mehr: Die einen machen das Lineare und die anderen das Nonlineare. Wir werden das gemeinsam denken und beide Seiten komplementär aufbauen. Unser Ziel ist es auf jeden Fall, im Jahr 2022 das Produktionsvolumen merklich anzuheben und für die Mediathek produzierte Inhalte in einer monatlichen Mindestmenge anzubieten.

? Haben Sie aus Ihrer Zeit bei funk junge Denker und Macher für die ARD-Mediathek an Bord geholt? Also Vertraute, die keine, ich sage es mal salopp, betonierte öffentliche Sicht haben?

! Intern hatte ich die Möglichkeit, tatsächlich ein paar Macher reinzuholen. Und das war und ist auch extrem wichtig. Ich mache keinen Hehl daraus, dass es mir auch schon bei funk extrem wichtig war, Menschen mit an Bord zu haben, die in der Lebenswelt der Zielgruppe zu Hause sind. Wir alle verbringen große Zeitbudgets auf Streaming-Plattformen, und dann brauche ich Macher, die diese Streaming-Plattformen verstehen, die sie selber nutzen und die sich damit beschäftigen, um ein Angebot aufbauen zu können.

Das Interview führte Bettina Schellong-Lammel

Das ganze Interview lesen Sie in der aktuellen Printausgabe.

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