ARD/WDR HART ABER FAIR, „Der Club der Reichen – wie viel Ungleichheit verträgt das Land?“, am Montag (07.05.18) um 21:00 Uhr im ERSTEN. © WDR/Oliver Ziebe
Warum geben sich Manager und Wirtschaftslobbyisten bei Anne Will, Frank Plasberg, Maybrit Illner und Sandra Maischberger die Klinke in die Hand? Eine Bestandsaufnahme.
Von Kai Rehländer
Von solch einer Situation träumt ein Talkshow-Moderator. Zumal wenn seine Sendung Hart aber fair heißt und man sich die harten „Faktenchecks“ auf die Fahnen geschrieben hat. Doch Frank Plasberg blieb in seiner Sendung vom 7. Mai 2018 beim Thema „Der Club der Reichen – Wie viel Ungleichheit verträgt das Land“ seltsam unbeteiligt, als in der Talkrunde der Bauunternehmer Christoph Gröner das Gleichheitsprinzip der Demokratie lautstark pöbelnd infrage stellte. Talkgast Kevin Kühnert (Juso-Chef) musste für Plasberg einspringen und die nötigen Fakten liefern.
Natürlich kann man sagen: Bauunternehmer, markantes Äußeres, rüdes Auftreten, rücksichtsloser Selbstdarsteller mit großem Sendungsbewusstsein (Christoph Gröner träumt von einer eigenen Partei) – vielleicht faszinierte Frank Plasberg eine Minute lang die Idee, er hätte da eine Art deutschen Donald Trump in seiner Talkrunde. Das Thema aber lautete soziale Gerechtigkeit, und neben Gröner, dessen rücksichtsloses Geschäftsgebaren in einer Reportage im Vorfeld geoutet wurde, hockten zum Thema Ungleichheit der ehemalige FDP-Geschäftsführer Hermann-Otto Solms (Stiftung Deutsches Eigentum), die wirtschaftsliberale Journalistin Bettina Weiguny (unter anderem FAZ), der Soziologe und Elitenforscher Michael Hartmann und eben Juso-Chef Kevin Kühnert im Studio. Es stand also gleich zu Sendungsbeginn 3:2 für die Anhänger des Clubs der Reichen.
Ähnlich ungleich geht es in den meisten Talkrunden zu. Propagandisten wie Harald Kujat, ehemaliger Generalinspektor der Bundeswehr, und Jürgen Todenhöfer (Buchautor und selbsternannter Friedenskämpfer) werden mit dem Label „Experten“ versehen, was einen Touch von Unabhängigkeit vermitteln soll. Wenn Themen wie Hartz IV auf die Polittalk-Agenda kommen, stehen meist Vertreter von neoliberalen Wirtschaftsinstituten auf der Matte, für die unsere Gesellschaft nicht mehr als die Summe von Zahlenreihen ist.
Der pensionierte IFO-Chef Hans-Werner Sinn verkündete mit dem Anspruch einer Unfehlbarkeit, wie man sie eigentlich nur aus der vatikanischen Glaubenskongregation kennt, dass Hartz IV die Antwort der Gesellschaft auf Armut sei. Sein Nachfolger Clemens Fuest fordert in einer anderen Talkrunde zum Thema Mindestlohn, dass sich die Menschen lieber über Drogenhändler aufregen sollten als über Unternehmer, die gegen das Mindestlohngesetz verstoßen und ihren Angestellten nicht einmal 8,84 Euro die Stunde gönnen. Höchstwahrscheinlich verdienen die Geflüchteten, die in Hamburger und Berliner Parks mit Cannabis dealen, sogar weniger.
In Deutschland leben 43,5 Millionen Erwerbstätige. Davon sind 90 Prozent abhängig beschäftigt und nur zehn Prozent arbeiten selbstständig. Das wird in den Talkrunden aber nicht abgebildet, da ergibt sich ein ganz anderes Bild der Gesellschaft. Dort geben sich Manager die Klinke in die Hand, während Arbeitnehmervertreter seltene Gäste sind.
Immerhin war 2017 die Linke Sahra Wagenknecht die Politikerin mit den meisten Talkshow-Auftritten – zusammen mit Ursula von der Leyen. Beide saßen zehn Mal in den Runden von Maybrit Illner, Frank Plasberg, Anne Will oder Sandra Maischberger, gefolgt von sechs Politikern, die jeweils neun Mal aus dem Plenarsaal ins Fernsehstudio wechseln durften. Von den zehn am häufigsten geladenen Gästen schafften es mit Christian Lindner, Wolfgang Kubicki und Alexander Graf Lambsdorff gleich drei FDP-Vertreter in die Talkrunden. Das ist insofern erstaunlich, als die Partei bis zum September gar nicht im Bundestag vertreten war. Von der SPD, immerhin zweitstärkste Kraft im Bundestag, war nur Thomas Oppermann in den Talkshow-Top-Ten.
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