In einer Protokollerklärung zum Medienstaatsvertrag hat der Gesetzgeber vor über fünf Jahren festgehalten: „Die Länder setzen sich für ein zukunftsfähiges Medienkonzentrationsrecht ein. Dieses muss den real bestehenden Gefahren für die Meinungsvielfalt wirksam begegnen können. Die Medienmärkte haben in den letzten Jahren eine Öffnung erfahren, die neben dem Fernsehen auch andere Mediengattungen und die möglichen Folgen crossmedialer Zusammenschlüsse sowie auch solcher auf vor- und nachgelagerten Märkten verstärkt in den Fokus rückt.
Von Heiko Hilker
Ein reformiertes Medienkonzentrationsrecht muss alle medienrelevanten Märkte in den Blick nehmen.“ In einem weiteren Punkt hat sich der Gesetzgeber zur regionalen Vielfalt positioniert. Um eine vielfältige, lokal und regional ausdifferenzierte Medienlandschaft in Deutschland zu erhalten, „werden die Länder – über die bereits im Zusammenhang mit dem Medienstaatsvertrag getroffenen Vereinbarungen hinaus – Maßnahmen zur Sicherung der regionalen und lokalen Medienvielfalt prüfen. Neben tradierten Medienhäusern sollen in diesen Prozess auch weitere Akteure (unter anderem Medienplattformen und -intermediäre) einbezogen werden.“
Die Kommission zur Ermittlung der Konzentration mahnt seit Jahren, dass das aktuelle fernsehzentrierte Medienkonzentrationsrecht zeitnah novelliert werden muss.
Sicherung der regionalen und lokalen Medienvielfalt
In ihrem 8. Medienkonzentrationsbericht geht sie über diese Forderungen jedoch weit hinaus. Sie betrachtet den ihr gesetzlich vorgegebenen Rahmen zur Bewertung von Vielfalt in der Meinungsbildung als überholt und mahnt zu dringenden Änderungen, um dramatische Folgen für die Sicherung von Meinungsvielfalt abzuwenden. Der KEK-Vorsitzende Prof. Dr. Georgios Gounalakis sieht als wichtigste Forderung eine Neufokussierung: Vielfaltsgefährdungen bestünden längst nicht mehr nur im Zusammenhang mit der Veranstaltung von linearem Fernsehen. Im Zeitalter global agierender digitaler Plattformen und einer deutlich veränderten Mediennutzung habe sich die Medienwirklichkeit grundsätzlich verändert. So sehe der European Media Freedom Act (EMFA) zwar eine gattungsunabhängige Bewertung von Zusammenschlüssen auf dem Medienmarkt vor. Allerdings fehlten Sanktionsmaßnahmen, auch wenn der EMFA nach Ansicht der KEK einen weiteren wichtigen Impuls für die nötige Reform des Medienkonzentrationsrechts gebe.
Beinahe-Monopole der Digitalkonzerne
Martin Andree und Karl-Nikolaus Pfeifer beschreiben die Lage so: „Digitale Monopolbildung führt aktuell zu massiven Problemen auf dem Feld der Medien. Erstens führt die fortschreitende Substitution analoger Mediennutzung durch Beinahe-Monopole der Digitalkonzerne zu einer problematischen Bündelung von Meinungsmacht.“ Zweitens könnten unabhängige Anbieter auf eigenen Domains, wie die digitalen Verlängerungen der analogen redaktionellen Medien, unter der Monopolisierung von Traffic „trockengelegt“ gelegt werden. Privat finanzierte redaktionelle Medien verlören auf diese Weise ihre wirtschaftliche Grundlage. Auch gebührenfinanzierte Inhalteanbieter müssten sich aktuell den Plattformen und ihren Algorithmen unterordnen. Zuletzt würden auch Influencer, Kreatoren und Anbieter unterschiedlicher Medieninhalte von den Plattformen, die sie beliefern, abhängig, da infolge der Monopolisierung keine realistischen Ausweichmöglichkeiten auf andere Anbieter bestünden.
Finanzierungsgrundlage journalistischer Inhalte sichern
Der Vormarsch digitaler Medienmonopole bringe den Status quo unseres Mediensystems in einen Widerspruch zu den demokratischen Prinzipien unserer Verfassung. Deshalb bräuchten wir konkrete Maßnahmen, um das Netz von übermäßigen Konzentrationen der Meinungsmacht zu befreien und die Freiheit der Medien zu sichern. Dabei müssten die verfassungsrechtlich gebotenen Regeln des Medienrechts – Unabhängigkeit, Anbietervielfalt (auch in der Nutzung) und Staatsferne – ausnahmslos für alle digitalen Medienanbieter gelten. Journalistische und redaktionelle Inhalte müssten effektive Zugangsmöglichkeiten erhalten, um unter den Bedingungen digitaler Monopol- oder Oligopolbildung wahrgenommen zu werden. Die Finanzierungsgrundlage redaktioneller und journalistischer Inhalte müsse auch unter digitalen Bedingungen langfristig gesichert bleiben.
Als erste wesentliche und zeitnah umzusetzende Maßnahme zur Wiederherstellung von Wettbewerb und Vielfalt im Markt der digitalen Medien schlagen Andree und Pfeifer offene Standards und Interoperabilität, volle Outlink-Freiheit für Content-Kreatoren, die Abschaffung aktiver Traffic-Manipulation, Sanktionen bei Selbstbevorteilung sowie eine 30-Prozent-Marktanteilsobergrenze in demokratierelevanten Kategorien vor. Zudem sollen unabhängige Oversight-Boards eingerichtet werden.
„Wildwuchs in der Digitalgesetzgebung“
Davon findet sich nichts im Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags, den die Länder bis zum 31. Juli 2025 zur öffentlichen Anhörung stellten.
Bis heute gibt es in Deutschland keine Antwort des Gesetzgebers auf die Frage, wie sich Medien- und Meinungsvielfalt über diverse Mediengattungen und mit nicht in Deutschland ansässigen Anbietern gewährleisten lässt. Auch besteht keine Einigkeit, wie Verstöße sanktioniert werden. Das deutsche Medienrecht betrachtet die Medienkonzentration immer noch nicht mediengattungsübergreifend.
Insgesamt ist ein „Wildwuchs in der Digitalgesetzgebung“ zu konstatieren. Zumindest kann man das, „was die zahlreichen Amtsträger, Posteninhaber und am Rande ihrer jeweiligen Ressorts mit digitalen und Medien-Themen befassten Politiker auf europäischer Ebene, Bundesebene und Bundesländer-Ebene netz- und medienpolitisch seit Jahren anrichten und mit immer mehr Personal zu verwalten versuchen“, kaum anders bezeichnen.
Unverständlich ist, dass die Rundfunkkommission sogar in zwei Bereichen (Verordnung über Transparenz und Targeting politischer Werbung sowie Verordnung über Künstliche Intelligenz) keine mit dem Bund abgestimmte Fassung vorlegt. Stattdessen führt sie aus: „Der Vorschlag in dieser Synopse erfolgt in dem Bewusstsein, dass es auch auf Ebene des Bundes gesetzliche Maßnahmen zur Durchführung der Verordnung geben muss und sich hieraus gegebenenfalls noch Anpassungsbedarfe im Sinne eines kohärenten Rechtsrahmens ergeben können.“ Warum schafft man es nicht, einen mit dem Bund abgestimmten Vorschlag zu präsentieren?
Bedrohung für die Meinungsfreiheit
Der aktuelle Vorschlag der Rundfunkkommission regelt, was den Ländern unter anderem von der EU vorgegeben wurde. Angesichts der Entwicklungen greift er zu kurz. Die Ankündigung, dass eventuell im ersten Halbjahr 2026 ein zweites Paket kommt, wird dabei berücksichtigt. Dies bedeutet jedoch, dass entsprechende Regelungen frühestens Mitte 2027 Gesetzeskraft haben werden. Angesichts der Konzentrationsprozesse im Medienbereich, der weiteren Abwanderung von Werbevolumina an die großen Internetunternehmen (GAFAM, TikTok) ist dieser Zeithorizont zu lang. (2025 werden etwa 50 Prozent der deutschen Werbeeinnahmen an Google, Meta und Amazon gehen. Google erwirtschaftet mit acht Milliarden Euro etwa doppelt so viel wie die deutsche Fernsehbranche.) Doch die Umsetzung von EU-Recht reicht bei weitem nicht aus. Die Differenz zwischen Handlungsnotwendigkeiten zum Schutz beziehungsweise Ausbau der Medienvielfalt und den realen Lösungsvorschlägen wird immer größer. Die Vorschläge sorgen zwar für etwas mehr Transparenz und klarere Zuständigkeiten, doch gegen die zunehmende Medienkonzentration bieten sie keine Handhabe.
Anfang August 2025 sieht es so aus, als habe die EU mittelfristig einen Erfolg errungen. Schließlich kündigte im Juli META (Facebook, Instagram, WhatsApp) an, auf seinen Plattformen auf politische Werbung im Sinne der EU-Verordnung (Transparenz und Targeting politischer Werbung) zu verzichten, sobald diese ab Oktober in Kraft tritt. Das melden heise.de, die „FAZ“ und ausführlich zeit.de. Zuvor hatte Alphabet (Google, YouTube) bereits Ähnliches angekündigt. Allerdings wird dies auch Folgen für die Zivilgesellschaft haben. „Eine zu weit gefasste Definition von politischer Werbung stellt eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Informationen dar“, schreibt die Juristin Eva Simon in einem Beitrag für „Liberties“. Zivilgesellschaftliche Themen könnten an Sichtbarkeit und somit Einfluss verlieren. Das Gleiche gelte für Anzeigen, die Bürgerinnen und Bürger aufrufen, zur Wahl zu gehen – unabhängig von ihrer politischen Einstellung.
Doch wer weiß, ob es dabei bleibt.
Beim letzten Handelsstreit zwischen den USA und der EU spielte die Plattformregulierung mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act keine Rolle. Offensichtlich wollte man Donald Trump nicht verärgern. Wenn dies das oberste Ziel ist, könnten auch weitere EU-Regulierungen in Frage gestellt werden, wenn sie den GAFAM nicht passen. Keine Durchsetzung würde weiterhin Narrenfreiheit für Big Tech bedeuten.
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