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20 Jahre NITRO
Der politische Blick eines Fotografen
20 Jahre NITRO

Der politische Blick eines Fotografen 

In Ausgabe 4-2008 veröffentlichten wir Fotos von Harald Hauswald, die im Buch „Ultras Kutten Hooligans: Fußballfans in Ost-Berlin“, im Jaron Verlag erschienen waren. Sie zeigen Bilder aus der Fußballwelt, die der Fotograf von 1988 bis 2008 geschossen hatte, und sie zeigen die Welt der Fußballfans in erschreckender Deutlichkeit.  

Nach dem Fall der Mauer begleitete ­Harald Hauswald die Fans vom 1. FC Union Berlin und deren Rivalen von BFC-Dynamo zu den Spielen. Er erlebte Besäufnisse und Gewaltausbrüche auf Zugfahrten zu Auswärtsspielen, in Fußgängerzonen und Fankneipen, und nicht selten flogen Steine. ­Harald Hauswald, der sich die Akzeptanz auf beiden Seiten erst erarbeiten musste, durfte mit seiner Kamera so nah an die Fußballfans wie sonst keiner.  

Wir sind es gewohnt, Kunst und ihre Schöpfer mit Etiketten zu versehen, um das -Komplexe überschaubarer zu machen. So gilt Harald Hauswald seit langem als „politischer Künstler“: als wichtigster oppositioneller Fotograf in der Endphase der DDR und kritischer Bildchronist der Veränderungen im deutschen Osten nach 1989 

von Norbert Jaron, Fotos: Harald Hauswald 

Nun kommt von Hauswald ein Fotoband heraus, der solch eine Kategorisierung gründlich zu widerlegen scheint, da er „privater“ wirkt als alle seine vorhergehenden Bücher. „Ultras Kutten Hooligans“ (Text: Frank Willmann) ist eine Hommage an die Fußballkultur Ost-Berlins.  

Zwanzig Jahre lang, beginnend 1988, hat der Fotograf die Fans der beiden Vereine 1. FC Union Berlin und BFC-Dynamo ins Bild gesetzt: jubelnd im Stadion, feiernd in Kneipen und Reisebussen, bei handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Fans gegnerischer Mannschaften und mit Ordnungskräften. Ob in Magdeburg oder Leipzig, im Münchner Hofbräuhaus oder auf den Straßen Prags – immer war Hauswald dabei, sichtlich Teil des Geschehens und doch auch professioneller Beobachter.  

Der objektive Blick des Künstlers auf die Wirklichkeit

Was mich, der ich das Glück habe, seit einigen Jahren Harald Hauswalds Verleger zu sein, an dem Projekt „Fußballfans in Ost-Berlin“ gereizt hat, ist gerade diese Spannung zwischen Distanz und Distanzlosigkeit: Der objektive Blick des Künstlers auf eine Wirklichkeit, der er selbst subjektiv verbunden ist.  

Dass diese Spannung für Hauswald keineswegs ein Widerspruch ist, lässt eine besondere Qualität dieses Fotografen erkennen, die – neben seinen fototechnischen und grafischen Fertigkeiten – prägend ist für sein Schaffen. Es gelingt ihm immer wieder, den Menschen, die er fotografiert, sehr nahe zu kommen, ohne ihnen zu nahe zu treten. Das Vertrauen, das er den Menschen entgegenbringt, ist so vertrauensbildend, dass die Menschen sich ihm unverstellt zeigen. Er nimmt ihnen die Angst, verletzt zu werden und wird durch ihre Offenheit belohnt.  

Die ungewöhnliche Wirklichkeitsnähe, die Hauswalds Fotos auszeichnet 

Die besten Fotografien Hauswalds sind für mich jene, die uns in Gesichtern lesen lassen. Jeder wohl kennt jene berühmte Aufnahme, die im Jahre 1987 drei Männer in der U-Bahn zeigt, erschöpft dem Feierabend entgegensehend. Oder das Foto der zwei FDJler, die 1988 in Weißensee inmitten jubelnder Bruce-Springsteen-Fans zwischen Haltung-Wahren und Faszination schwanken. Wann haben wir jemals ungeschminktere Gesichter gesehen auf Fotos?  

Harald Hauswald – und dies verbindet die „politischen“ Aufnahmen aus seinem längst zum Kultbild avancierten „Ost-Berlin“ (Text: Lutz Rathenow) mit vielen der jetzt veröffentlichten Fotos von Fußballfans – stellt Menschen in denkbar authentischer Weise dar, ohne sie jedoch bloßzustellen, sie zu diskriminieren. Er nähert sich den Menschen, die er abbilden möchte, nicht als Voyeur, sondern als Freund und Vertrauter. Dies erst schafft die ungewöhnliche Wirklichkeitsnähe, die seine Fotos auszeichnet. 

So gesehen ist Hauswald gar kein „politischer Fotograf“, sondern ein Fotograf, der die Menschen liebt – speziell Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Dass solches fotografische Interesse für die Underdogs und Outcasts ihn zu DDR-Zeiten zwangsläufig zum Oppositionellen machte, weil es das offizielle Bild der Gesellschaft unterminierte, ist unbestreitbar. Es waren erst die politischen Verhältnisse, die seinen angstfreien Blick auf die Menschen zum politischen Blick machten.  

 In Radebeul geboren, zog Harald Hauswald 1977 nach Ost-Berlin und wurde dort in den Verband Bildender Künstler der DDR (VBK) aufgenommen. In der DDR stand Hauswald wegen seiner kritischen Fotos unter Beobachtung der Behörden und der Staatssicherheit.  Seine Fotos aus der Zeit vor der Wende haben das Bild der DDR und die Erinnerungen an Ost-Berlin deutlich mitgeprägt. Er veröffentlichte als einer der ersten DDR-­Fotografen seine Bilder unter Pseudonym in westlichen Magazinen und seine Fotos wurden in mehr als 250 Einzelausstellungen in Deutschland, den USA, Frankreich, Italien und den Niederlanden gezeigt. Harald Hauswald ist Gründungsmitglied der Agentur OSTKREUZ.  

Der Verleger Norbert Jaron schrieb 2008 in seinem Text zum Beitrag: „Es gelingt ihm immer wieder, den Menschen, die er fotografiert, sehr nahe zu kommen, ohne ihnen zu nahe zu treten“. 

 

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